Gelsenkirchen. Vor 100 Jahren entstand die Bauhaus-Bewegung. Auch in Gelsenkirchen hat sie Spuren hinterlassen. Eine Ausstellung im Kunstmuseum erzählt davon.
2019 ist ein ausgesprochenes Bauhaus-Jahr, denn vor 100 Jahren, 1919, gründete der Avantgarde-Architekt Walter Gropius (1883-1969) in Weimar das Bauhaus. Mit seiner Einheit aus Kunsthochschule, Kunstgewerbeschule und Bauakademie wollte er zeitgemäßes Wohnen für eine veränderte, moderne Gesellschaft schaffen.
Künstler als „Formmeister“
Gut vernetzt und mit viel Gespür gewann Gropius als Lehrer so berühmte Künstler wie Paul Klee, Johannes Itten, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, László Moholy-Nagy und Oskar Schlemmer, die ihre avantgardistischen Positionen am Bauhaus einbrachten und vermittelten. Sie leiteten als künstlerische „Formmeister“ mit jeweils einem Handwerksmeister die Werkstätten.
Was oft in Vergessenheit gerät: Auch in Gelsenkirchen hielt der Bauhaus-Stil in den 1920er Jahren Einzug. An zahlreichen
Orten in der Stadt lassen sich Spuren aus dieser Zeit finden. Uwe Gelesch, Stadtgrafiker von Gelsenkirchen, hat viele von ihnen aufgespürt und nun gemeinsam mit dem Kunstmuseum Gelsenkirchen eine Ausstellung konzipiert, die bis Ende August im Grafikkabinett zu sehen ist. „Ich bin ein echter Bauhaus-Freak“, sagt Gelesch lachend.
Sammlerstücke
„Ich bin im Dunstkreis von Rolf Glasmeier groß geworden und habe mich ausgiebig mit den Bauhaus-Ideen beschäftigt. Seit den 1990er Jahren sammele ich praktisch alles, was mit Bauhaus zu tun hat“, so Gelesch. Zahlreiche Kunstbücher, Fotografien und Schriftstücke aus dieser Epoche hat er zusammengetragen. Ein Teil davon ist in die Gelsenkirchener Ausstellung eingeflossen, die alte und neue Fotografien der Stadt gegenüberstellt und sie zugleich in einen Zusammenhang mit Bildern von Klee, Feininger, Moholy-Nagy und Schlemmer stellt, die im Besitz des Kunstmuseums Gelsenkirchen sind. Dabei wird schnell deutlich: Auch in Gelsenkirchen setzte man auf die „neue Sachlichkeit“, bei der die Zweckmäßigkeit der Gebäude im Vordergrund stand.
Schnörkellose Formen
Bauhaus-Besichtigung mit dem Cabriobus
Die Ausstellung „Spuren des Bauhaus“ ist bis zum 31. August im Grafikkabinett des Kunstmuseums Gelsenkirchen an der Horster Straße 5-7 zu sehen: Jeweils dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr bei freiem Eintritt.
Am 20. Juli und am 3. August bietet das Kunstmuseum ab 17.30 Uhr jeweils Sonderfahrten mit dem Cabrio-Bus zu den markanten Bauten der Bauhaus-Architektur in Gelsenkirchen an.
Mitfahren kostet für Erwachsene 22 Euro, für Kinder (ab 6 Jahre): 11 Euro. Info und Reservierungen: Bei der Tourist-Info im Hans-Sachs-Haus an der Ebertstraße 11 (Tel. 0209 169- 3968 oder -3969) sowie unter Tel. 0201/857 95 60 70 oder per Mail: info@ruhrgebiet-stadtrundfahrten.de
Schnörkellose Formen sollten die Nutzung des Wohnraumes vereinfachen. Vertikale und horizontale Linien wurden besonders betont, spitze Winkel nicht nur bei den Dachkonstruktionen vermieden. „Der Bauhaus-Stil hat das Stadtbild von Gelsenkirchen nachhaltig geprägt“, betont Uwe Gelesch.
In der Altstadt entstand nach diesem Prinzip einer der prominentesten Bauten: Das Hans-Sachs-Haus. Das inzwischen wieder neu genutzte Rathaus wurde zwischen 1924 und 1927 nach Entwürfen des Essener Architekten Alfred Fischer, der zugleich Leiter der Essener Schule für Gestaltung (der späteren Folkwang Hochschule) war, konzipiert. Sein Kollege Max Burchartz gestaltete 1927 das passende Farb-Leit-System im Inneren dazu. Das auffälligste Gestaltungsmerkmal des Hans-Sachs-Hauses an der Außenseite sind die „abgerundeten Ecken“, laut Christiane Wanken, der stellvertretenden Direktorin des Kunstmuseums, eine typische „Bauhaus-Idee“: „Dafür gibt es wirklich den Begriff ‚runde Ecke‘, was ja eigentlich ein Widerspruch in sich ist“, erklärt sie.
Klare Linien als Formensprache
Genau dieses Gestaltungsmerkmal prägte auch den zweiten Bauhaus-Bau in der Altstadt: Das ehemalige Sinn-Kaufhaus an der
Bahnhofstraße, mit dem der Berliner Architekt Bruno Paul 1927/28 eine neue Formensprache mit klaren Linien nach Gelsenkirchen brachte. Fast zeitgleich entstanden die vom Gelsenkirchener Alfons Fels geplante „Vittinghoff-Siedlung“ in Schalke und die Siedlung Spinnstuhl des Essener Architekten Josef Rings in Hassel. „Beide Siedlungen wurden in Zeiten von starker Wohnungsnot erbaut und sollten den Bewohnern preiswerten und zugleich hochfunktionalen Wohnraum bieten“, erzählt Christiane Wanken. „Alle Wohnungen haben einen Bezug zum grünen Innenhof und eine Waschküche für Begegnungen, das war den Bauhaus-Architekten sehr wichtig“, fügt sie hinzu. Und: „Die Bauten in der Siedlung Spinnstuhl waren in Gelsenkirchen mit die ersten, in denen jede Wohnung über ein eigenes Bad und eine Toilette verfügte.“ – Ein echter Luxus zu dieser Zeit. Zeitlos schön gelang auch die Architektur der Zeche Nordstern, bei der Fritz Schupp, der unter anderem auch die Zeche Zollverein entwarf, ab 1926 die Bauhaus-Prinzipien in Industriebauten übersetzte.