Essen. . 100 Jahre Bauhaus: Die kurzlebige Hochschule für Architektur und Design hat eine lang anhaltende Wirkung mit Licht- und Schattenseiten
Wie alles beim Bauhaus hat auch sein Name mehr als zwei Seiten. Durch den Binnenreim und die glasklare Bedeutung ist es ein geradezu genialer Marketing-Griff; diese gerade einmal 14 Jahre bestehende Architektur- und Design-Hochschule hat es geschafft, dass ihr Name auch noch ein Jahrhundert nach der Gründung nicht etwa für eiskalte, mitunter monströse Rationalität steht, sondern einzig für Moderne und Avantgarde, für Fortschritt, Klarheit und Eleganz.
Walter Gropius, am 12. April 1919 und dann neun Jahre lang Gründungsdirektor am „Staatlichen Bauhaus Weimar“, versäumte es indes, den Begriff urheberrechtlich schützen zu lassen. So konnte der Unternehmer Heinz Georg Baus 1960 in Mannheim auch dem ersten deutschen Baumarkt so nennen – obwohl man dort gerade nicht jene Design-Ikonen erstehen kann, die bis heute mit dem Namen Bauhaus verknüpft sind: Der Stahlrohr-Freischwinger von Marcel Breuer, die Halbkugel-Leuchte von Wilhelm Wagenfeld, die LC4-Liege von Le Corbusier...
Das Prinzip Bauhaus, nach dem die Form eines Gegenstands seiner Funktion zu folgen hat, besteht in der radikalen Reduktion auf das Notwendige, bis hin zu den Primärfarben Rot, Gelb, Blau. Und im Bekenntnis zu Materialien wie Glas und Stahl, später auch Beton. Dieser Impuls wirkt weltweit bis heute fort.
„Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau“, heißt es im Gründungsmanifest von 1919. Die Vorstellung des Bauhauses, Architektur als Teil eines Gesamtkunstwerks zu sehen, das alles Gestaltete im Leben umfasst, von der Kleidung über Möbel bis hin zu Tapeten und Gedrucktem, stammt von Gropius’ Vorgänger an der Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für Bildende Kunst in Weimar: Henry van de Velde. Der Belgier hatte für den Hagener Folkwang-Begründer Karl Ernst Osthaus den Hohenhof (1906-1908) als Gesamtkunstwerk entworfen, bis hin zu Türklinken – freilich in den geschwungenen Linien und der Dekorfreude des Jugendstils, von dem sich das Bauhaus mit klaren, geometrischen Formen so scharf abgrenzte.
Das Bauhaus wollte Schluss machen mit Schmuck und Stuck (die „Entstuckung“ von Jahrhundertwende-Häusern war eine Konstante von 1920 bis in die 60er-Jahre, als es in Berlin noch eine Stuck-Abschlagsprämie gab). Dass am Ende der nackte Putz übrigblieb, galt als „ehrlich“. Heute aber sind Gründerzeit- und Jugendstilviertel einer Stadt in der Regel die gefragtesten Quartiere – Wohnlichkeit ist vielleicht doch keine Frage der Moral.
Dem Bauhaus ging es darum, mit künstlerischer Kreativität eine Formensprache zu entwickeln, die dem industriellen Herstellungsprozess gerecht wird. Was eben nicht nur für Möbel galt, sondern auch für Häuser. Gropius und andere entwickelten ein „modulares Bauen“: Aus Standard-Betonwänden, die auf die unterschiedlichste Weise kombiniert werden konnten, entstanden verschiedenste Haus-Modelle, bei denen Quadrat und rechter Winkel die Gestalt ausmachten. In der kreativen Atmosphäre des Bauhauses, wo Künstler wie Lyonel Feininger, Paul Klee, Wassily Kandinsky, László Moholy-Nagy oder Anni und Josef Albers lehrten, mündete das in abwechslungsreiche Modelle, deren Bau in der Wirklichkeit jenes kostengünstige Wohnen in Schönheit ermöglichen sollte, das schon vor 100 Jahren für viele Menschen nur ein Traum war.
Besonders in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg blieb vom Bauhaus-Gedanken nur noch das Billige übrig: platte Bauten und Plattenbauten entstanden überall dort, wo mit wenig Geld und wenigen, armen Materialien viel Wohnraum geschaffen werden sollte. Sie waren nicht mehr so durchdacht und streng geometrisch gestaltet wie etwa die Siedlung Stuttgart-Weißenhof, die heute zum Unesco-Welterbe gehört. So wuchsen in der ganzen Welt Moloch-Vorstädte mit gesichtslosen Wohnmaschinen, deren Entwerfer sich nicht selten – zu Unrecht – auf den Bauhaus-Gedanken beriefen. Denn dort war man sich sehr wohl darüber im Klaren, dass gerade eine streng funktionalistische Architektur bei den Materialien nicht sparen darf. Und dass Glas, Stahl, Rohbeton und weißer Putz unbedingt gepflegt werden müssen, weil sich ihre Eleganz sonst im Handumdrehn in Schäbigkeit verwandelt.
Vielleicht zeigt die Bauhaus-Architektur nicht von ungefähr bei Industriebauten ihre Stärke: Bei den Vereinigten Seidenwerken AG in Krefeld von Mies van der Rohe etwa (der dort eben nicht nur die Fabrikanten-Villen Haus Esters und Haus Lange entwarf), den von Walter Gropius entworfenen Fagus-Werken im niedersächsischen Alfeld an der Leine, die ebenso den Welterbe-Titel tragen wie Schupp & Kremmers Bauhaus-Zeche Zollverein in Essen, als weltgrößtes Bergwerk ihrer Zeit monströs in der Effizienz wie in der Herrschaft des rechten Winkels.
Im privaten Hausbau feiert das Bauhaus gerade mit weiß verputzten Würfel-Formen ein neues Revival und hebt sich wohltuend von einstiger Klinkerseligkeit ab. Noch auffälliger aber ist, wie sich Museen, Universitäten und Regierungen in diesem Jahr um das Bauhaus-Jubiläum bemühen. Das wird mit dem nach wie vor wirksamen Image von Fortschrittlichkeit und Design-Qualität zu tun haben. Umso wichtiger wäre es, in diesem Jahr auch die Schattenseiten dieser wirkungsmächtigen Geschichte in den Blick zu nehmen.