Gelsenkirchen. . Sechs Gelsenkirchener öffneten ihre Wohnzimmer für fremde Menschen. Erzähler entführen die Zuhörer in andere Welten. Die Idee kommt gut an.
Kerzenlicht, Familienfotos, Sofas, Sessel, Snacks und ein spannendes Unterhaltungsprogramm: Für einen Abend des fünften Erzählfrühlings hatten sich die Veranstalter etwas ganz Besonderes, vielleicht auch etwas Ungewöhnliches bei der Locationwahl überlegt – private Wohnzimmer.
Sechs Gelsenkirchener erklärten sich bereit in ihrem eigenen Wohnraum völlig fremde Menschen einzuladen. In jede der Wohnungen zog zudem ein Erzählkünstler oder Geschichtenkünstler ein. Die Gäste hatten vorab die Wahl, sich für eine oder zwei Wohnzimmer anzumelden, denn pro Location, die sich alle in der Nähe der Innenstadt befanden, gab es zwei Erzählrunden.
Freien Blick in die eigenen vier Wände
Wahrscheinlich für die meisten Teilnehmer bei Ankunft ein komisches Gefühl. Aber auch für die Bewohner mochte es zunächst seltsam gewesen sein, den Ankommenden freien Blick in die eigenen vier Wände zu gewähren. Doch die anfängliche Spannung legte sich schnell. Durch die intime Atmosphäre entstand schnell das Gefühl, als würde man sich bereits länger kennen. Schnelles Duzen und private Gespräche waren die Folge.
Bernd Matzkowski, der zusammen mit Svjetlana Vrebac nach Ückendorf eingeladen hatte: „Als ich gefragt wurde, habe ich direkt zugesagt, weil ich selbst früher viel Theater gemacht habe und die Aktion besonders spannend finde.“
Für den Gelsenkirchener war es nicht nur durch die unbekannten Gesichter ein besonderer Abend, er feierte zeitgleich auch noch seinen 67. Geburtstag. „Normalerweise bin ich an meinem Geburtstag nicht zu Hause und gehe ungern ans Telefon, aber heute bin ich gerne hier“, ergänzte der Gastgeber.
Kerstin Otto war als Erzählerin vor Ort. Gekleidet von Hals bis Fuß in Rot offenbarte sie Märchen, Geschichten und auch einen Witz über die Liebe. Auf Wunsch einer Zuhörerin, lenkte die Erzählerin in der intimen Atmosphäre auch mal in die frivole Richtung ein. Lebhaft, locker und auch mal lustig waren ihre Geschichten, bei denen sie gerne mit dem Publikum interagierte.
Auch in Feldmark wurde erzählt
Auch Familie Güldenberg hatte im Stadtteil Feldmark in ihren Wohnraum eingeladen. Dort hatten über 20 Menschen auf den Sitzgelegenheiten, teilweise von Nachbarn ausgeliehen, Platz genommen. Martin Güldenberg war erfreut über die vielen Gäste und den „bereichernden Abend. Mir gefällt das Konzept sehr gut, da unerwartete Begegnungen und Gespräche mit interessanten Menschen entstehen.“
In gemütlicher Atmosphäre lauschten die Zuhörer den Erzählungen von Christian Rogers. Er hatte vor über 30 Jahren seinen Geburtsort Wales verlassen, um als Straßenkünstler auf etlichen Straßen in Europa Geschichten über Menschen zu sammeln und diese weiterzuerzählen. Mittlerweile lebt er in Deutschland.
Jeder Mensch ist interessant
„Ich habe gelernt, jeder Mensch hat eine Geschichte zu erzählen und ist interessant“, sagte er. Bei seinen Erzählungen lag der Fokus auf den Sufi-Meistern des 13. Jahrhunderts und auf der Suche nach der Wahrheit. Gerade durch Mimik, Gestik und Tonalität wurde es spannend und auch verblüffend. An die 150 Menschen hatten insgesamt an der Wohnzimmer-Veranstaltung teilgenommen. Organisiert wurde diese vom Consol Theater zusammen mit dem Referat Kultur der Stadt.
>>>> Geschichten aus Afrika und dem Orient
Zwischen Heinrich-König-Platz und Musiktheater drehte sich am Wochenende ebenfalls alles um Worte. Im Rahmen des Erzählfrühlings gastierten sechs Erzähler aus ganz Deutschland im Umkreis der Ebertstraße.
Stationen der Geschichtenmeile waren das Erzählzelt auf dem Heinrich-König-Platz, das Bürgerforum im Hans-Sachs-Haus, die Stadtbücherei im Bildungszentrum und das Foyer des Musiktheaters. Dabei wechselten nicht nur die Erzähler zwischen den vier Locations, auch die Besucher durften fleißig wechseln. Die Unterhalter hatten verschiedene Gattungen im Gepäck. Schräges, Lustiges, Spannendes, Kluges oder mit Herz: Für Groß und Klein war etwas dabei.
Meditative Einspieler im Foyer des Musiktheaters
Tormenta Jobarteh, ein gambisch-deutscher Geschichtenerzähler, nutzte beispielsweise Worte, um diese mit Musik zu verbinden. Er erzählte, gekleidet im farbenfrohen Anzug im ethnischen Stil, Geschichten aus Afrika und dem Orient. Zwischendurch ließ er immer wieder seine Kora, eine westafrikanische 21-saitige Harfenlaute, erklingen. Fast meditativ wirkten die musikalischen Einspieler im Foyer des Musiktheaters, die durch die hohen Decken besonders impulsiv erklangen.
Im Bildungszentrum lud Gerhard P. Bosche inmitten von Bücherregalen ein, eigene Fantasien zu entwickeln. Durch bildliche Beschreibungen, eine ruhige Stimme und den Einsatz von Mimik und Gestik nahm er seine Zuhörer mit in fremde Welten. Spannung entstand gerade bei längeren Pausen, während sein Blick musternd durchs Publikum streifte.
Lebhafte Geschichten aus der Tierwelt
Sabine Kolbe präsentierte sich interaktiv und bezog öfter mal das Publikum mit ein. Geräusche durch eine spezielle Pappfalttechnik kamen bei ihren Erzählungen zum Einsatz – einfach aber wirkungsvoll.
Tierisch ging es bei Ines Honsel zu. Die Schauspielerin und Erzählerin lud ein zu lebhaften Geschichten aus der Tierwelt, die für Kinder genauso gut geeignet waren wie für Erwachsene. Hinter den Erzählungen steckten häufig nicht nur ein Unterhaltungswert, sondern auch weise Botschaften.