Gelsenkirchen. . Kein einziger Vollzeitplatz ist aktuell frei trotz Überkapazität. In vielen Heimen sind die Wartelisten lang. Baumaßnahmen sind ein Problem.
Doris Hansen (*Name geändert) ist verzweifelt. Sie sucht einen Pflegeplatz für ihre 93-jährige Mutter und hat in allen Heimen nur Absagen bekommen. Dabei gab es 2018 in Gelsenkirchen laut Pflegeplan-Prognose mit 2655 Plätzen sogar eine Überkapazität in der Vollzeitpflege. Das Problem: Wegen Baumaßnahmen fehlen aktuell in vielen Häusern Betten.
Seit August 2018 ist in Pflegeheimen eine Einzelzimmerquote von 80 Prozent vorgeschrieben. Damit tun sich viele Einrichtungen schwer. Sie müssen umbauen, in ehemaligen Doppelzimmern sind solange nur noch Einzelpersonen untergebracht. „Das ist seit etwa zwei Jahren schon ein großes Problem“, sagt Olaf Horn, Leiter des Amalie-Sieveking-Hauses.
Umbau von Doppelzimmern in Einzelzimmer
Wegen Bauarbeiten stehen dort im Moment 75 Plätze zur Verfügung, ab Juni werden es 81 sein – vier weniger als vor dem Umbau. Freie Plätze wird es daher erst einmal nicht geben. Stattdessen führt das Heim eine Warteliste. Die liegt derzeit in vielen der insgesamt 18 privat geführten Einrichtungen aus, die auf WAZ-Nachfrage Auskunft zu ihrer Belegung erteilten (20 gibt es insgesamt). In einigen Heimen gibt es derzeit sogar einen kompletten Aufnahmestopp.
Doris Hansens Mutter stand zeitweise auf fünf Wartelisten. Einen Platz hat sie trotzdem seit vergangenem Sommer nicht bekommen. „Wir sind mittlerweile arg frustriert“, sagt ihre Tochter. Sie ist selbst über 60 und traut sich die Pflege der rückenkranken Mutter nicht mehr alleine zu. Dass die Suche nach einem Pflegeplatz so schwer würde, hatte sie nicht erwartet. „Entweder es gibt eine lange Warteliste oder gleich eine Absage“, berichtet sie.
Auch städtische Heime sind voll
Ihre Hoffnung, bei einem der vier städtischen Pflegeheime Hilfe zu finden, wurde ebenfalls enttäuscht. Zum Zeitpunkt der Anfrage gab es dort ebenfalls keinen freien Platz mehr, wie der stellvertretende Betriebsleiter Peter Schmidt mitteilte. Das ändere sich aber mitunter sehr schnell. Immerhin ein Lichtblick für Wartende.
Denn die Nachfrage ist zurzeit offenbar besonders hoch. Acht Anfragen zu Vollzeitpflegeplätzen gab es in den vergangenen beiden Tagen im Pflegezentrum Am Schlosspark. Seit rund einem halben Jahr riefen dort deutlich mehr Suchende an als zuvor, heißt es. Eine Wahrnehmung, die sich mit den Berichten aus anderen Heimen deckt.
Wie groß der Bedarf ist, das spüren auch die Mitarbeiter der städtischen Pflegeberatung. „Wir kommen im Moment nicht hinterher, die Anfragen zu bearbeiten“, berichten sie. Im Minutentakt klingelt ihr Telefon. Im zuständigen Dezernat gibt man sich trotzdem zuversichtlich, mit den Plätzen auszukommen, obwohl die Einrichtungen anderes berichten.
Drei zusätzliche Einrichtungen in der Planung
Um den Wegfall von Betten aufgrund der Einzelzimmerquote zu kompensieren, sollen drei neue Einrichtungen im Stadtgebiet entstehen. Das sieht der Pflegeplan aus dem Jahr 2017 vor. Die Eröffnung der Belia-Residenz in Horst und des Heims an der Stephanuskirche in Buer stehen noch aus. Dort sollten bis 2018 je 80 Plätze entstehen, so die Prognose der Bedarfsplanung.
Eine Besserung der Lage ist in naher Zukunft nicht in Sicht. Im Herbst könnten die Arbeiten im St. Anna Haus abgeschlossen sein. Im Sommer 2020 soll die Bauphase bei Belia beendet sein. Länger dauert es im Seniorenzentrum Buer. Mindestens zwei Jahre lang soll der Umbau dort noch dauern. Bis dahin müssen Wartende wie Doris Hansen hoffen, dass plötzlich ein Platz frei wird.
Eine weitere Hürde: Qualifiziertes Personal
Mit anderen Problemen kämpft das neue Stella Vitalis Heim in Hassel. Seit August 2017 nimmt die Einrichtung Pflegebedürftige auf. Aktuell gibt es auch dort einen Aufnahmestopp. Nach WAZ-Informationen ist der Grund dafür jedoch keine Vollbelegung, sondern der Mangel an qualifiziertem Personal.
Die Stadt versichert, dass in Notlagen immerhin niemand unversorgt bleiben müsse. In vielen Heimen gebe es Kurzzeitpflegeplätze. So könnten kurze Wartezeiten überbrückt werden. Auch Doris Hansens Mutter hat nun zunächst einen solchen Platz auf Zeit.
>> Kommentar: Nachfrage wird weiter steigen
2460 Gelsenkirchener befanden sich 2015 in stationärer Pflege – so wenige wie seit 2009 nicht. Auf diesen Zahlen fußt die aktuelle Pflegebedarfsplanung. Rein rechnerisch reichen die vorhandenen Plätze somit aus. Gleichzeitig steigt aber die allgemeine Pflegebedürftigkeit. Eine Folge des demografischen Wandels. Das sollte eigentlich Teil einer vorausschauenden Planung sein.
Auch die stetig steigenden Zahlen von Menschen in ambulanter, teilstationärer und Kurzzeitpflege zeigen, dass der Bedarf an Unterstützung größer wird. Die Betreiber sind also gut beraten, den Ausbau der Plätze weiter voranzutreiben.