Gelsenkirchen. . Verwaltungsrichter halten es für angezeigt, die Kurt-Schumacher-Straße komplett für Diesel-Fahrzeuge zu sperren, um die Grenzwerte einzuhalten.
Die Causa Dieselfahrverbot hat eine weitaus dramatischere Wende genommen, als bislang angenommen. Aus dem jüngst ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichtes Gelsenkirchen, das nun schriftlich vorliegt, geht hervor, dass die Richter es für angezeigt halten, das streckenbezogene Verkehrsverbot auf die gesamte Länge der stark befahrenen Hauptverkehrsachse Kurt-Schumacher-Straße zwischen dem Norden und dem Süden der Stadt zu beziehen.
Die Folgen für Pendler, Gewerbetreibende und auch Anwohner wären weitreichend: Es drohen zeitraubende Umwege auf den Ausweichstrecken nebst Staus, die Gefährdung der Existenzgrundlage für Handwerker und Unternehmer in den nahen Gewerbegebieten östlich und westlich der Schalker Meile oder etwa auch die Verlagerung des Schadstoffproblems in andere, bislang verschonte Stadtteile.
Insbesondere die nahezu direkt angrenzenden Gewerbegebiete östlich und westlich der Schalker Meile wären betroffen. Entlang der Kurt-Schumacher-Straße hat beispielsweise der Auto-Zulieferer TRW Automotive einen großen Standort und der börsennotierte Schlauchspezialist Norres seinen Sitz, dazu kommen noch Speditionen, mittelständische Firmen und viele Handwerksbetriebe. Ganz zu schweigen von dem Stadthafen, einem logistischen Dreh- und Angelpunkt, sowie der Schalker Veltins-Arena, auf die über die nahe Kurt-Schumacher-Straße kilometerlange Blechlawinen anrollen bei Fußballspielen und Konzerten.
Gericht auf Linie des Europäischen Gerichtshofes
Das Gericht begründet seine Auffassung damit, dass „seit nahezu 20 Jahren die Möglichkeit bestand, hinreichenden Vorkehrungen zu treffen, um den bereits im Jahr 1999 beschlossenen NO2-Grenzwert (Stickstoffdioxid) im Jahresmittel zum Zeitpunkt seiner verbindlichen Geltung einzuhalten.“ Dies entspräche nicht zuletzt auch der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union.
Berufung einlegen: Stadt sieht sich bestärkt
Nachdem jetzt das schriftliche Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vorliegt, ist Oberbürgermeister Frank Baranowski in Absprache mit Rechtsdezernent Christopher Schmitt und Stadtbaurat Martin Harter erst recht davon überzeugt, dass das Anfechten dieses Urteils vor dem Oberverwaltungsgericht der richtige und gebotene Schritt ist. Baranowski: „Ein Dieselfahrverbot für die gesamte Kurt-Schumacher-Straße, also vom Rathaus in Buer bis zur Florastraße, macht die ganze Angelegenheit noch absurder. Ich habe große Zweifel daran, dass das noch verhältnismäßig ist. Wir werden jetzt gemeinsam mit dem Land die vom Gericht eingeräumte Frist nutzen, um Berufung einzulegen.“
Auch von Seiten der Industrie- und Handelskammer (IHK) gab es breite Kritik. Dazu IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Fritz Jaeckel: „Ich sehe erhebliche negative Auswirkungen auf die Wirtschaftswege der Stadt zukommen.“ Für die Pendler stelle sich die Frage, wie sie zur Arbeit kommen, da der ÖPNV keine Entlastung darstelle.
In einem erstinstanzlichen Urteil hatte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden, dass die Schalker Meile an der Kurt-Schumacher-Straße ab Juli 2019 für Diesel-Fahrzeuge bis zur Euro-5-Norm tabu ist.
Eine kleine Hintertür ist noch offen
Abwenden lässt sich laut Gericht dieses Fahrverbot auf der gesamten Kurt-Schumacher-Straße nur, „sofern der Beklagte (das Land NRW) nachträglich zu gesicherten, das heißt durch Messungen oder Modellierungen hinreichend belegten Erkenntnissen gelangt, wonach eine Überschreitung des (…) NO2-Grenzwertes in bestimmten Teilbereichen der Kurt-Schumacher-Straße nicht zu erwarten ist (…).“
Im Prinzip bedeutet das, dass die Stadt in der Pflicht steht, nachzuweisen, dass die an der Schalker Meile gemessenen Grenzwert-Überschreitungen nicht an der gesamten Kurt-Schumacher-Straße auftreten.
Explizit betont das Gericht, dass es die prekäre Situation getäuschter Autokäufer und Gewerbetreibender mit älteren Diesel-Fahrzeugen anerkennt, gleichwohl weisen die Richter darauf hin, „sich an die Verantwortlichen zu halten“ und gegebenenfalls zivilrechtlich vorzugehen. Das dürfte noch viele weitere, aber noch zögernde Dieselfahrer dazu ermuntern, sich den Klagen gegen die Automobilhersteller anzuschließen.
>> Viele Kommunen betroffen
Der über ein Jahr gemittelte Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) beträgt 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr in 26 weiteren NRW-Kommunen die geltenden Grenzwerte überschritten. 2016 listete das Landesumweltamt noch 32 NRW-Kommunen mit zu hohen NO2-Werten auf.