Gelsenkirchen. . IHK-Prognose: Gelsenkirchen gehen dadurch mittelfristig 800 Betriebe verloren. Wie die Altersstruktur in der Region und in Gelsenkirchen aussieht

Tausende Betriebsinhaber in Deutschland suchen vergeblich nach einem Nachfolger. Der Fortbestand kleinerer und mittelständischer Betriebe sei gefährdet, warnen die Industrie- und Handelskammern. Das gilt auch für die Emscher-Lippe Region und für Gelsenkirchen. „Das Interesse am Unternehmertum lässt spürbar nach“, bestätigt Peter Schnepper, der 61-Jährige ist der Leiter des IHK-Standorts Emscher-Lippe. Viele Betriebsinhaber blieben auf der Suche nach einem Nachfolger erfolglos. Rechne man den demografischen Wandel hinzu, so werde die Stadt in den „nächsten zehn bis 15 Jahren 800 Betriebe verlieren“, lautet die Prognose der Kammer.

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Eine Schätzung, die nach oben korrigiert werden könnte, wie der Blick auf die Statistik zeigt: Bei 38 400 Unternehmen in der Emscher-Lippe-Region sind 44,8 Prozent der Frauen und Männer an der Spitze des Betriebes 50 Jahre und älter, für Gelsenkirchen mit 10 100 Betrieben beträgt die Quote 38,3 Prozent (3868 Betriebe). Bezirksweit sind bei 95 000 Familienbetrieben 31 000 Chef oder Chefin älter als 55 Jahre.

Betriebe haben meist große Angst davor, das Problem öffentlich zu machen

Am größten ausgeprägt ist das Nachfolgeproblem in den Sparten Handel und Logistik, Baugewerbe und Dienstleister hingegen profitieren laut IHK durch Arbeiter aus Polen, Tschechien und der Türkei, bei denen liege die Bereitschaft zur Selbstständigkeit deutlich höher. Ähnliches gelte auch für ländliche Bereiche wie das Sauerland. „Das Ruhrgebiet hingegen“, so Schnepper weiter, „ist generationsbedingt ein Angestellten-Revier.“

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Vergeblich hat die IHK versucht, betroffene Unternehmen als Gesprächspartner zu gewinnen. Zu groß ist augenscheinlich die Angst, dass die Geschäftsbeziehungen durch „den Gang in die Öffentlichkeit Schaden erleiden“.

Beispiele erfolgreicher Übergänge

Immerhin, Beispiele für den erfolgreich gemeisterten Übergang gibt es: etwa die Schalker Grobblech GmbH, ein Stahlhandel mit 14 Mitarbeitern und einer Außenstelle in Stuttgart. Groß- und Einzelhandelskaufmann Maximilian Sickers (26) ist Seniorchef Torsten Grotjahn zur Seite gesprungen. „Wir halten beide 50 Prozent Anteile“, erklärt Sickers das Modell, das zugleich die Option offen hält, das Grotjahns Sohn doch noch eines Tages einsteigt – zurzeit lebt und arbeitet er in Hamburg. „Ohne diese Lösung wäre das Unternehmen liquidiert worden“, so Sickers weiter, der seinen Beruf bei Grobblech gelernt hat. Ein doppelter Vorteil: „Die Belegschaft kennt mich und stärkt mir den Rücken, zugleich sind alle froh, dass es weiter geht.

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Das gilt auch für Betül Horta. Sie hat sich durch die Übernahme der durch Stilllegung bedrohten Wilhelm Geldbach Industrie GmbH selbstständig gemacht. Das Unternehmen, es stellt Rohrverbindungen her, war zuvor Teil der weltweit tätigen Genoyer-Gruppe. „Es konnten durch die Übernahme 20 Arbeitsplätze in Gelsenkirchen gesichert werden.“

Zähes Ringen um den Betriebswert

Einige Modelle sind denkbar für die Nachfolgeregelung. Eines ist das oben beschriebene, bei dem der neue Inhaber 50 Prozent Anteile hält, der Seniorchef die andere Hälfte innehat.

Eine andere Möglichkeit ist eine Übergangszeit, so dass der Firmengründer seinen Nachfolger über einen Zeitraum begleitet und die Geschicke mit lenkt, um Betrieb und Jobs zu sichern. Denkbar ist auch, die Betriebs-Immobilie zu behalten und nur die GmbH zu verkaufen.

Die lange Suche nach einem Nachfolger scheitert nach Angaben der Industrie- und Handelskammer auch oftmals an den Kriterien, wie ein Unternehmen überhaupt bewertet wird: Der „objektive Wert ist schwer einzuschätzen“ erklärt IHK-Experte Peter Schnepper. Grundlage dafür könnten der Ertrag der vergangenen fünf Jahre, der Wert des Maschinenparks oder auch der Wert des Lagerbestandes sein.

Ein weiteres Bewertungskriterium ist beispielsweise die Kapitaldienstfähigkeit. Dahinter verbergen sich die Gewinne, die der Betrieb abwirft.

Firmengründer und potenzieller Nachfolger haben oftmals gegensätzliche Ansichten

Und dann gibt es noch eine sehr stark emotional geprägte Komponente als Einflussfaktor der Bewertung – der jeweilige Blickwinkel von Inhaber und potenziellem Nachfolger. Denn Letzterer will möglichst kein hohes finanzielles (Kredit-)Risiko eingehen, während der Firmengründer verständlicherweise sein Lebenswerk nicht auf dem Markt verramschen möchte. Mitunter ist der aus dem Verkauf erzielte Erlös ja auch seine Alterssicherung.

Die stark brummende Konjunktur ist im Übrigen für Neugründungen eher abträglich. Laut IHK liegt sie „jährlich latent bei 100 bis 200 weniger Gründungen“ als noch in schwierigen Wirtschaftsjahren – zum Beispiel über den Zeitraum der Euro- und Bankenkrise gesehen. Der Grund: In Notzeiten wagen mehr Menschen zwangsweise den Schritt in die Selbstständigkeit, als Ausweg nach einem Jobverlust.