Gelsenkirchen-Ückendorf. . Die Wohngemeinschaft in der Künstlersiedlung Halfmannshof kommt in der Region sehr gut an. Sie bietet viel Raum für den Ideenaustausch.

Das neue Konzept für die Künstlersiedlung Halfmannshof nimmt Form an: Mit der Wohngemeinschaft „Co Creation Residency Ruhr“ fügt sich ein weiteres Element in das Mosaik. Die Idee, fünf Kulturschaffende unter einem Dach zusammenzubringen, kam bei Künstlern aus der Region „so gut an, dass wir sogar eine Auswahl treffen mussten“, erzählt Projektleiterin Christiana van Osenbrüggen.

Und so zogen im Oktober eine Architektin, ein Fotokünstler, eine „Physical Theater“-Macherin, eine Szenografin und eine Video-Künstlerin in die stylischen WG-Räume.

Viele verschiedene Kulturen im Stadtteil

„Wir hatten Glück und haben uns von Anfang an richtig gut verstanden. Es wird umschichtig gekocht und gemeinsam gegessen. So entsteht viel Raum für den Ideenaustausch“, erklärt Kaoutar Aboueloula-Peindl aus Marokko, die auch das Umfeld erforschte.

„Hier in Ückendorf leben so viele verschiedene Kulturen zusammen. Für unser gemeinsames Projekt habe ich mir deshalb von dem albanischen Brautmoden-Geschäft auf der Bochumer Straße als Symbol für die Interkulturalität eine Schaufensterpuppe geliehen und bin mit ihr zu verschiedenen Orten gezogen um zu schauen, wie die Menschen darauf reagieren“, sagt die 32-Jährige. Ihre Erlebnisse flossen in ein poppig-buntes Video ein, das Ückendorf von ganz ungewöhnlichen Seiten zeigt.

„Besonders die Bochumer Straße sieht ja auf den ersten Blick traurig aus, aber wer genauer hinschaut, sieht, wie viel Leben in ihr steckt“, hat die Brasilianerin Roberta de Lacerda Medina (30) beobachtet. „In der Tat sind die Menschen hier viel offener als in anderen Teilen des Reviers“, betont Ole-Kristian Heyer, der sonst in Essen wohnt: „Wir haben uns alle ein Bild gemacht und die Erkenntnisse zusammengetragen.“

Das Kultursekretariat Wuppertal so begeistert

Aus Sicht von Volker Bandelow, dem Leiter des Kulturreferates der Stadt, läuft „Co Creation“ erfolgreicher als gedacht: „Schon jetzt sind viele multimediale Ideen hier entstanden. Das Kultursekretariat Wuppertal war so begeistert, dass es diese ‚Residency‘ unterstützt und somit eine Verlängerung ermöglicht hat“, erklärt Bandelow.

Noch bis Ende Januar läuft das Wohnprojekt, eine Fortsetzung mit anderen Kulturschaffenden ist nicht ausgeschlossen. Auch für das angrenzende „Plus Studio“ gibt es neue Perspektiven. Zudem werden bereits zwei weitere Halfmannshof-Häuser saniert. „Für uns ist das eine sehr spannende Zeit“, sagt Bandelow.

>>> Info: Die neuen Gesichter auf dem Halfmannshof

  • Neben den Bewohnern der „Co-Creation“-WG sind in den letzten Monaten auch viele andere Kulturschaffende auf dem Halfmannshof eingezogen, unter anderem die Fotokünstler René Sikkes und Gabi Rottes und die Musikerin Kathy Schierenberg.
  • Eine Übersicht gibt es auf halfmannshof-gelsenkirchen.de
Die gemeinsame Performance „Momentum“ 

Es ist stockfinster im früheren Atelier des Halfmannshof-Künstlers Herbert Daniel. Heute sind die Fenster mit schwarzer Folie abgeklebt, das Licht wurde für die multimediale Performance „Momentum“ ausgeschaltet. Komplette Dunkelheit breitet sich aus, alles ist schwarz.

Erst nach einiger Zeit hat sich das Auge an diese Lichtverhältnisse gewöhnt und bekommt ein wundersames Schauspiel geboten: Nach und nach erscheinen die Bäume und einzelne Gebäude des Halfmannshof-Innenhofes auf weißen Kartonagen, die Fotograf und Künstler Ole-Kristian Heyer an die zahlreich erschienenen Besucher verteilt hat.

Eine große Camera Obscura

Erst jetzt wird klar: Heyer hat den Raum in eine überdimensionale „Camera Obscura“ verwandelt und lässt die Welt rundherum auf dem Kopf stehen. Ein bisschen gilt das auch für den weiteren Verlauf dieses Kunst-Events, für das alle fünf Bewohner der „Co Creation“-WG zusammengearbeitet haben.

Plötzlich huscht ein Fantasiewesen am „Camera Obscura“-Auge vorbei: Die portugiesische Tänzerin Sabeth Dannenberg bahnt sich den Weg in den Kunstraum. Wie ein aufgeregter Vogel hüpft sie zunächst zwischen den Zuschauern umher, ihre Bewegungen werden sichtbar, als ihr Leuchtkostüm mit Schwarzlicht angestrahlt wird.

Ein einzigartiges Live-Event

Zugleich „radieren“ ihre Füße mit jedem Schritt auf einer bewegungsempfindlichen Matte Elemente aus einem Videofilm von Roberta de Lacerda Medina, der zeitgleich an eine der Atelierwände projiziert wird. Der Zuschauer weiß nun kaum noch, wo er hinschauen soll. Und schon bald wird klar: Die Kunstperformance, die hier gerade live entsteht, wird nie wieder in dieser Form zu sehen sein. Denn nur im Zusammenspiel aller Elemente funktioniert sie. Der Eventname „Momentum“ wurde also mit Bedacht gewählt – nur dieser eine Moment zählt in der Kunst. Ein Experiment, das neugierig macht auf weitere. . .

Die Architektin Kaoutar Aboueloula-Peindl 

Wer sind die fünf Künstler in der „Co Creation“-Wohngemeinschaft auf dem Halfmannshof? Die WAZ Gelsenkirchen stellt sie an dieser Stelle vor – und beginnt mit Kaoutar Aboueloula-Peindl. Die junge Frau ist Innenarchitektin und Szenografin und Künstlerin, geboren und aufgewachsen in Casablanca, Marokko. Kaoutar Aboueloula-Peindl schloss ihr Diplomstudium 2012 in Innenarchitektur, Objektdesign und Kunst an der „Ecole Superieure des Beaux Arts“ in Casablanca ab.

Schon immer wandelte sie zwischen den verschiedenen künstlerischen Bereichen von Objektdesign bis hin zur Performancekunst. 2015 begann sie in Deutschland ihr Masterstudium der „Szenografie und Kommunikation“ an der Dortmunder Fachhochschule, ein Bereich, der ihre Leidenschaft von Design und Kunst verbindet. Kaoutar Aboueloula-Peindl ist es wichtig, in fremde Welten einzutauchen, um neue Erfahrungen zu machen. Dies gilt auch für die Erkundung von kulturellen Unterschieden – so freute sie sich auf ihre Zusage für die „Co-Creation“-Wohngemeinschaft.

Die Tänzerin und Akrobatin Sabeth Dannenberg 

Sabeth Dannenberg arbeitet seit ihrem Masterabschluss (2015) im Studiengang „Physical Theatre“ an der Folkwang Universität der Künste freischaffend als Performerin und Theatermacherin in NRW und Portugal. Akrobatischen Input erhielt sie am Circus Warehouse NYC.

Seit September 2017 ist sie auch am Schauspielhaus Bochum in der Produktion „Moondog“ zu sehen. Seit 2016 hat sie einen Lehrauftrag für „Physical Theatre“ im Masterstudiengang „szenische Forschung“ an der Ruhr-Uni Bochum inne. In Portugal setzt sie sich zudem spielerisch mit Ort und Passanten im öffentlichen Raum auseinander.

Dies konnte sie 2016/2017 durch ihren Austausch mit der Straßentheaterkompanie Projeto EZ vertiefen (Erasmus für Jungunternehmerinnen). Unter dem Lable „Physical Monkey“ konzentriert sie seit 2017 ihre Solo-Performances, in denen Akrobatik und theatrale Narration miteinander verschmelzen. Im Zentrum steht der Chinesische Mast, ein traditionelles Zirkusgerät, an dem sie vertikal tanzt.

Die Szenografin Milica Jojevic 

Milica Jojevic ist Szenografin, geboren in Kroatien und aufgewachsen im Ruhrgebiet, wo sie lebt und arbeitet. Soziales Verantwortungsbewusstsein, besonders im öffentlichen Raum der Stadt, ist ihr wichtig. In ihrem Bachelorstudium des „Cultural Engineerings“ in Magdeburg befasste sich Milica Jojevic mit der wissenschaftlichen Seite von Raumbildung und sozialen Gefügen im Raum.

Nach ihrem Abschluss und längeren Auslandsaufenthalten in Paris, Madrid und Rovinj absolvierte Milica Jojevic den Masterstudiengang „Scenographic Design and Communication“ in Dortmund, und entwarf unter anderem Theater-Bühnenbilder.

Der Fotograf Ole-Kristian Heyer 

Der einzige männliche Bewohner der Künstler-WG, Ole-Kristian Heyer, wurde 1981 in Mülheim geboren und schloss sein Studium der freien Kunst im März 2015 mit der Arbeit „Prototyp I Möbiusband“ als Meisterschüler von Thomas Zika an der Freien Akademie der bildenden Künste in Essen ab.

Im August 2016 erlangte er seinen zweiten Hochschul-Abschluss als Geograf mit der Abschlussarbeit „Untersuchung zur Ausprägung kognitiver Landkarten und räumlicher Orientierung“ bei Professor Frank Dickmann an der Ruhr-Universität in Bochum. Heyer arbeitet insbesondere in den Bereichen Fotografie, Kartografie und Installation; sein Fokus liegt auf den inhaltlichen und formalen Funktionsweisen dieser Medien.

Die Videokünstlerin Roberta Medina 

Roberta de Lacerda Medina ist 32 Jahre alt und kommt aus Rio de Janeiro, Brasilien. Sie hat ihren Bachelor in Kommunikation und Medienwissenschaft 2008 an der „Pontifical Catholic University of Rio de Janeiro“ absolviert. Nach ihrem Studium sammelte sie Erfahrungen mit Werbe- und Fernsehprogrammen.

Im September 2015 begann sie ihren Master in „Professional Media Creation“ am Bochumer SAE-Institut in Kooperation mit der Folkwang Hochschule, den sie Ende September 2017 abgeschlossen hat. Dabei hat sie das Projekt „Nobis Conecta“ entwickelt, das im Halfmannshof fortgesetzt werden soll.