Gelsenkirchen. . Die Parteien verdauen die Wahl. Heike Gebhard (SPD): „Das Ergebnis ist desaströs.“ Oliver Wittke (CDU): „Wo wir stark sind, ist die AfD schwach.“

  • Einen Tag nach der Wahl beschäftigen sich die Parteien in GE mit dem Ergebnis
  • Vor allem bei der SPD ist angesichts eines Absturzes um zehn Prozentpunkte Wundenlecken angesagt
  • Einzig positiv: Gelsenkirchen freut sich über sechs Abgeordnete im nächsten Bundestag

Die Sonne über Gelsenkirchen ging gestern planmäßig um 7.24 Uhr auf. Das Mischungsverhältnis der Luft war mit einem Sauerstoffanteil von etwa 21 Prozent gewohnt perfekt, die Temperatur mit knapp 20 Grad recht angenehm. Die Schwerkraft tat zur vollsten Zufriedenheit aller ihren Dienst, was an diesem Herbsttag nicht zuletzt durch herab fallende Blätter zu beobachten war. Eigentlich war also alles wie immer an einem Tag im September.

Und dennoch hatte der eine oder andere Politiker oder politisch interessierte Mensch an diesem Montag das Gefühl, in einer anderen Welt aufgewacht zu sein. Zu tief saß bei einigen auch am Tag danach noch der Schock.

Wundenlecken bei der SPD

Am stärksten dürfte dieser bei der SPD ausgefallen sein. In Gelsenkirchen, eigentlich eine Hochburg der Sozialdemokratie, holte die Partei nur 33,5 Prozent der Zweitstimmen. „Da gibt es nichts schönzureden“, gibt Heike Gebhard, SPD-Chefin in dieser Stadt, auch unumwunden zu. „Das Ergebnis ist desaströs.“ Das habe im Wesentlichen zwei Gründe: „Die Mobilisierung unserer Wähler ist nicht gelungen. Unsere Klientel hatte aufgrund der Umfragen offenbar den Eindruck, die Wahl sei schon entschieden.“ Zum anderen habe es die SPD nicht geschafft, ihr Programm an den Mann oder die Frau zu bringen. Dies gelte auch für Erfolge. „Projekte wie Schule 2020 sind erst in der Umsetzung. Das dauert, bis so etwas spürbar wird.“

Auch interessant

Die Sozialdemokraten wollen das Ergebnis genau unter die Lupe die Lupe nehmen und Konsequenzen ziehen. „Ein ,Weiter so’ wäre nach so einer Schlappe fatal“, sagt Heike Gebhard. „Wir müssen uns zügig unser Personal angucken. Wir müssen zeigen, dass wir zum Aufbruch in der Lage sind.“ Konkreter wollte die Unterbezirksvorsitzende nicht werden. „Wir werden uns nicht in den Schmollwinkel zurückziehen“, sagt sie – und mit Blick auf das gute Abschneiden der AfD: „Nach vier Jahren müssen deren Wähler sehen, ob sie sich diesmal richtig entschieden haben. Das ist Demokratie.“ Dennoch fällt es ihr schwer, das AfD-Ergebnis zu akzeptieren. „Die meisten haben nicht das Programm dieser Partei gewählt. Das war eher eine Art Trump-Effekt. Die wollten es den Etablierten mal zeigen.“

Wahlnachlese bei der CDU

Auch Oliver Wittke hadert mit dem Erfolg der AfD, sieht für Gelsenkirchen aber vor allem die SPD in Erklärungsnot: „Wo die SPD stark ist, ist auch die AfD stark. Wo aber wir stark sind“, sagt der Chef der Gelsenkirchener CDU mit Verweis auf Buer, „ist die AfD schwach.“ Dennoch wolle er sich nicht aus der Verantwortung ziehen.

Für sich selbst hätte Wittke gerne ein besseres Ergebnis gesehen. 25,4 Prozent sind es geworden, 30 plus X hatte er einst als Wunsch gegenüber der WAZ ausgegeben. „Aber ich bin froh, dass ich bei den Erststimmen besser abgeschnitten habe als die CDU bei den Zweitstimmen.“ Umgekehrt hätte ihn das wohl sehr gekränkt.

Auch interessant

Wittke blickt jetzt nach vorne, sieht den ersten Gesprächen mit FDP und Grünen entgegen. „Es ist wichtig, dass wir bald eine stabile Regierung auf die Beine stellen.“ Das werde in einem Dreierbündnis nicht einfach. „Ich hätte dazu gerne eine Alternative gehabt“, sagt Wittke und teilt erneut gegen die SPD aus. „Mit der Ansage, in die Opposition zu gehen, stellt die SPD ihr Parteiinteresse über das des Staates.“ Auch die bei einer weiteren Großen Koalition drohenden Oppositionsführerschaft der AfD ist für Wittke kein Argument. „Ich war mit einer Sahra Wagenknecht als Oppositionsführerin auch nicht glücklich. Hat sich Martin Schulz denn beim Volk als Oppositionsführer beworben? Wer soll das denn noch ernst nehmen?“

StadtdersechsAbgeordneten

Neben SPD-Kandidat Markus Töns, der mit 38,3 Prozent das Direktmandat holte, und CDU-Kontrahent Oliver Wittke sind auch die vier Kandidaten der anderen im nächsten Bundestag vertretenen Parteien über die Landeslisten ins Parlament gerückt: Jörg Schneider (AfD), Marco Buschmann (FDP), Ingrid Remmers (Linke) und Irene Mihalic (Grüne). So gut ist keine andere Stadt dieser Größe vertreten. Das i-Tüpfelchen auf dieser Besonderheit: Durch eine mögliche Jamaika-Koalition könnten sogar drei von sechs der nächsten Regierungsfraktion angehören. Oliver Wittke: „Dann wollen wir mal gucken, dass wir für Gelsenkirchen etwas erreichen.“