Gelsenkirchen. . Das Referat Verkehr hat auf die Kritik vieler WAZ-Leser reagiert und eine Gruppe zum Verkehrsrechner eingeladen.

  • Der WAZ-Bericht „Abends nervt die rote Ampel“ hat sehr viele Leserreaktionen erhalten
  • Das Verkehrsreferat hat einige von ihnen zum Gespräch am Verkehrsrechner eingeladen
  • Referatsleiterin Bettina Lenort erklärt die Herausforderungen moderner Verkehrsplanung

Nach den kritischen Äußerungen vieler WAZ-Leser im Nachgang zum Bericht „Abends nervt die rote Ampel“ hat die Stadtverwaltung reagiert.

Die rote Ampel nervt.
Die rote Ampel nervt. © Michael Kleinrensing

Auf Einladung des Referats Verkehr trafen sich in dieser Woche zehn Leserinnen und Leser aus dem Kreis der Kritiker im Zentrum der „Ampelmacht“: am Verkehrsrechner auf dem Gelände des Polizeipräsidiums.

Die Leiterin des Verkehrsreferats, Bettina Lenort, hatte dabei die geballte Fachkompetenz zur Seite: Chantal Ojstersek, Abteilungsleiterin für Verkehrsplanung und -einrichtungen, Anh Quan, Bauingenieur mit Fachrichtung Verkehr, und Verkehrsingenieur Heino Almstedt.

279 Ampeln stehen im Gelsenkirchener Stadtgebiet

Im technischen Zentrum der Gelsenkirchener Lichtsignalanlagen läuft die Klimaanlage, die Rechner surren. Die Raumgröße ist eher bescheiden, die zehnköpfige Besuchergruppe gemessen daran schon fast zu groß. Zu Beginn gibt es allgemeinen Input von der Chefin. „Gelsenkirchen ist groß, wir haben 279 Ampeln, knapp 80 Prozent davon sind am Verkehrsrechner angeschlossen“, sagt Bettina Lenort. Sie und ihr Team würden gerne auf einige Ampeln verzichten, „aber das ist aus Sicherheitsgründen nicht möglich.“

Umlaufzeiten werden abends reduziert

Heino Almstedt erklärt den Besuchern die Umlaufzeiten, die gehalten werden müssen, „damit eine Welle funktioniert“. Tagsüber, bei höherem Verkehrsaufkommen, soll jeder in 85 Sekunden, abends in 60 Sekunden fahren können. Ausnahme: die Kurt-Schumacher-Straße. „Die funktioniert nur bei einem 70er Umlauf“, sagt Almstedt.

Die Umlaufzeiten sind ein Stichwort für Berend Steensma: „Wie schnell muss ein Fußgänger in Gelsenkirchen sein, um bei Grün über die Straße zu kommen?“ fragt er. Antwort: „1,2 Meter pro Sekunde.“ Steensma kontert: „Die vorgeschriebene Sicherheitsmarge in NRW ist ein Meter pro Sekunde.“ Für einen blinden Menschen wie ihn ist beides eine Herausforderung.

Berufskraftfahrer ägert sich jeden Morgen um 2 Uhr

Der Umlauf ärgert Dietmar Klein. Er ist Berufskraftfahrer, steht jeden Morgen um 2 Uhr an der Werftstraße mit Richtung Kurt-Schumacher-Straße. Wenn die erste Ampel Grün zeigt, springt die zweite kurz dahinter auf Rot. Heißt: zweimal 60 Sekunden. „Die Schaltung passt nicht“, sagt er.

Chantal Ojstersek vor der „Ampelkarte“.
Chantal Ojstersek vor der „Ampelkarte“. © Michael Korte

Auch die katastrophale Verkehrssituation rund ums neue Justizzentrum wird aufgerufen. „Wir haben dort versucht, das Beste draus zu machen“, meint Bettina Lenort auf Nachfrage. Und versucht, einen neuen Aspekt einzubringen. „Ein betriebliches Mobilitätsmanagement können wir als Stadt forcieren, dass sie andere Möglichkeiten haben, um zur Arbeit zu kommen.“ Aber, kommt es zurück, zur Haltestelle X müsse man ja auch erstmal kommen. Lenort gibt nicht auf. An der Arena parken und dann in die 302 ...?

Das Fazit der Referatsleiterin: In Gelsenkirchen sei es schwer, die Menschen vom Auto in Bus, Bahn oder aufs Rad zu kriegen.

Früher war Verkehrsplanung einfacher

Wenn er zu Fuß unterwegs ist, bleibt Uli Fahrenkamp an einer Ampel, die droht umzuspringen, lieber stehen. Dabei seien die Ampelphasen für Fußgänger so geschaltet, dass man, wenn das Signal nach einem Schritt auf Rot schaltet, den Fußweg noch sicher schaffen kann, erfahren die Besucher.

Bettina Lenort, die betont, sie habe alle Kommentare zur Ampelgeschichte sehr genau gelesen, ruft einen davon in Erinnerung: „Holt die Verkehrsplaner von früher zurück, hat jemand geschrieben.“ Sie kontert: „Früher war es auch einfacher. Da wurde überhaupt kein Wert gelegt auf die Einbeziehung von Fußgängern oder gar Mobilitätsbeeinträchtigten.“ Und heute machten die vielen unterschiedlichen Ansprüche deutlich, „wie schwierig die Verkehrsführung ist“. Zumal es auch alte Anlagen gäbe, „die stellt man nicht mal eben um“.

„Mit anderen Augen durch die Stadt“

Alle Einzelprobleme im Detail zu klären, dafür reicht die Zeit nicht. Und man muss hier, neben den surrenden Rechnern, die Ohren auch ganz genau spitzen. Susanne Coffon, die im Justizzentrum beschäftigt und jeden Tag vom Verkehr rund um den Knotenpunkt Bochumer-/Dessauer-Straße und Munscheidstraße genervt ist, gibt sich nach knapp zwei Stunden zufrieden. Sie sagt: „Ich bin froh, dass ich heute hier bin. Ich glaube nicht, dass auch nur einer von uns eine Ampel in einer Kreuzung einrichten könnte. Ich fahre jetzt mit anderen Augen durch die Stadt.“ Fazit: Keiner der Verkehrsexperten kann versprechen, jedes Problem zu lösen. Aber dort, wo es offensichtlich hakt, soll nach der Ursache geforscht werden.