Gelsenkirchen. . Die kommissarische Gekita-Leiterin Holle Weiß erklärt im SommerGEspräch das Konzept der Kindertagesbetreuung in Gelsenkirchen – und wo es hakt.
- Zwei von drei Kindern werden in Gelsenkirchen in einer städtischen Kindertageseinrichtung betreut
- Lange und flexible Öffnungszeiten bis 20 uhr und auch samstags gibt es in Gelsenkirchen schon
- 42 Familienzentren beziehen Eltern ein und helfen bei Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Seit 2015 – nach der Suspendierung von Alfons Wissmann – leitet Holle Weiß kommissarisch Gekita und kümmert sich so federführend um die Belange von Kinderbetreuung in Gelsenkirchen. WAZ-Redakteurin Sibylle Raudies sprach mit Holle Weiß über die aktuelle Situation und die Entwicklung von Kindertagesstätten in Gelsenkirchen.
Frau Weiß, Sie kennen „GeKita“ seit deren Gründung, haben 1984 in der Kinder- und Jugendförderung begonnen. Was hat sich bei der Betreuung seither verändert?
Der grundsätzliche Blick auf Tagesbetreuung hat sich verändert. Die Förderung von Bildung im Kindergarten, das Ziel, gute Kernkompetenzen in der Kita zu vermitteln, um Kinder gut auf die schulische Bildung vorzubereiten. Und natürlich auch auf die Betreuungsangebote bezogen auf die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die zehn Bildungsbereiche, die das Land vorgegeben hat: Wir haben sie in Gelsenkirchen als eine der Ersten mit Leben gefüllt. Auch die religiöse Bildung haben wir gemeinsam mit dem evangelischen Kirchenkreis im Rahmen eines Modells entwickelt. Religiöse Themen in einer städtischen Kita – das war damals eigentlich kaum denkbar. Aber das Recht auf Bildung, Religion und Ethik ist im Gesetz verankert. Und schließlich: Die mittlerweile 42 Familienzentren an Kitas – auch anderer Träger – sind ein wichtiger Baustein für unsere heutigen, vielfältigen Aufgaben.
Mit den Familienzentren sind ja auch Eltern angesprochen.
Ja, die Zusammenarbeit mit den Eltern ist heute sehr wichtig. Sie sind die Experten für ihr Kind, sie möchten wir auch unterstützen, in allen Bereichen, im Alltag.
Sprachförderung muss sehr individuell ansetzen
In NRW gibt es einen neuen Familienminister. Das bedeutet, es kommen neue Ideen für Kitas auf Sie zu. Rettungspakt, längere Öffnungszeiten, weniger Bildungsdokumentation, mehr alltagsintegrierte Sprachförderung – hat das schon Konsequenzen?
Noch nicht, es gibt noch keinerlei konkrete Vorgaben. Aber lange Öffnungszeiten nach Absprache und Bedarf der Eltern bieten wir schon. Zehn Einrichtungen sind für Eltern mit entsprechendem Dienst von sechs bis 20 Uhr geöffnet. Zum Teil auch samstags, je nach Bedarf. Und alltagsintegrierte Sprachförderung ist gut und wichtig. Aber wir brauchen auch gezielte Sprachförderung, passgenau und individuell. Wer mit vier Jahren kein Wort Deutsch spricht, braucht eine andere Förderung als ein Kind, das zweisprachig aufwächst. Und dafür brauchen wir eine sichere Finanzierung. Die Delfin4-Förderung läuft jetzt aus. Da muss es einen sicheren Anschluss geben, das ist sehr wichtig. Und zwar für die finanzielle und personelle Ausstattung der alltagsintegrierten und der individuellen Sprachförderung.
Was ist mit weniger Bildungsdokumentation?
Kommt drauf an, was gemeint ist und wie es gemacht wird. Wir haben in Gelsenkirchen Entwicklungsbegleiter. In Halbjahresabständen wird so die Entwicklung nachvollzogen in vielen Bereichen. Mittlerweile gibt es das auch schon für die ganz Kleinen. Das sind ganz pragmatische Beobachtungen aus dem Kita-Alltag, die gezielt notiert werden. Die Dokumentationsbögen haben die Erzieherinnen selbst entwickelt und von unabhängigen Kollegen auf Verständlichkeit und Praxistauglichkeit überprüfen lassen. So sehen wir sehr schnell, wo ein Kind Förderbedarf hat. Sei es bei der Sprache, der Motorik oder kognitivem Verstehen.
Es fehlen auch Heilpädagogen und Sozialarbeiter
Was ist das größte Problem derzeit bei der guten Betreuung von Kindern bis zu sechs Jahren? Personal? Räume? Gebühren?
Alles! Die Gebührenfreiheit im dritten Jahr bleibt ja. Aber wir brauchen noch mehr gutes Fachpersonal, bei den Erziehern, aber auch bei Heilpädagogen, Sozialarbeitern und anderen wichtigen Bausteinen unserer Betreuungsarbeit. Und wir brauchen auch mehr Platz. Mit An-, Um- und Ausbauten bei den Kitas.
Wo liegt die Versorgungsquote in Gelsenkirchen derzeit?
Unter drei Jahren bei 26 Prozent, Ü 3 bei 92 Prozent. Das sind allerdings nicht ganz aktuelle Zahlen – bedingt durch den Bevölkerungszuwachs. Die Erhebungen laufen gerade, auch die Bedarfsermittlung für die Zukunft. Wir merken aber schon an den Anfragen, dass es wieder mehr Kinder gibt. Auch beispielsweise von Familien mit akademischem Hintergrund, die schnell Betreuungsplätze brauchen, um in den Beruf zurück zu kehren.
Betreuungsübergänge ohne Brüche schaffen
Wie viele Mini-Kitas, also Großpflegestellen, gibt es heute und wie viele Kinder werden dort betreut?
Wir haben 20 Mini-Kitas, verteilt auf das ganze Stadtgebiet, zudem betreuen 48 Tagesmütter und -väter im eigenen Haushalt. Insgesamt bietet das 301 Betreuungsplätze, 294 sind besetzt.
Wie erfolgreich war der Versuch, Menschen berufsbegleitend zu Tagespflegeeltern umzuschulen?
Er war erfolgreich, aber wir brauchen noch mehr Menschen. Wir bemühen uns, die Betreuungsübergänge von der Tagespflege in die Kitas so zu gestalten, dass es keine Brüche gibt. Dass Eltern sehr frühzeitig wissen, dass sie nach der Tagespflege eine Anschlussbetreuung ortsnah bekommen. Das funktioniert auch gut. Zum Personal: Richtig erfolgreich waren wir mit unserer Werbeaktion „Kitas brauchen Männer“. Als wir im Jahr 2011 damit gestartet sind, gab es 11 männliche Mitarbeiter bei Gekita. Jetzt sind es 65, davon 47 im pädagogischen Bereich plus zwei Tagesväter. Wir haben ja auch an Schulen geworben, laden Jungen zum ‘Boys Day’ auch gezielt zu Praktika ein. 120 haben das in diesem Jahr angenommen. Natürlich ist beim Männeranteil auch noch Luft nach oben.
Für Erzieher geht es nicht nur um die Bezahlung
Was wäre ein angemessener Lohn für eine ausgebildete Erzieherin?
(überlegt): Wir haben gerade bestellte Leitungsstellvertretungen angestellt und die Tarife sind ja auch aktuell angehoben worden. Aber es geht nicht nur um die Bezahlung. Es geht auch darum, das Arbeitsumfeld attraktiv und gesund zu gestalten. Die Belastungen für Erzieherinnen und Erzieher sind sehr hoch. Gesundheitsmanagement, Fortbildung, Gestaltung der Räume, Hilfe bei der Stressbewältigung für die Mitarbeiter – das alles ist auch wichtig. Dafür tun wir viel.
Wie stehen die Verhandlungen mit den anderen Trägern in der Stadt?
Wir sind im Gespräch. Der Stadtverband katholischer Frauen und Männer möchte zum Beispiel auch eine Kita aufmachen, da helfen wir gern. Wir sind zwar klar der größte Träger in der Stadt. Aber wir haben ein großes Interesse daran, die Trägervielfalt zu erhalten.
Kita-Betreuung zu organisieren wird ja immer anspruchsvoller, die Anforderungen steigen in jeder Hinsicht. Macht es Ihnen noch Spaß?
(ohne Zögern): Ja natürlich, sehr sogar. Es ist schön, immer wieder neue Konzepte zu entwickeln, neue Herausforderungen zu bewältigen.
70 von 121 Tageseinrichtungen betreibt Gekita
>> Aktuell gibt es in der Stadt Gelsenkirchen 121 Tageseinrichtungen für Kinder. Weitere Plätze stehen im Bereich der Tagespflege zur Verfügung. Ein großer Teil dieser Plätze wird in 21 Mini-Kitas – darunter eine neue an der Gabelsberger Straße – angeboten.
>> 70 der Tageseinrichtungen betreibt Gekita, 31 befinden sich in Trägerschaft des katholischen Kita-Zweckverbandes, 13 führt der Evangelische Kirchenkreis, sieben weitere leiten andere freie Träger. In 2016 wurden in städtischen Kitas 4333 Kinder betreut, in katholischen 1393,in evangelischen 591 und in den übrigen 178.