Gelsenkirchen. . Die Wache der Bundespolizei am Hauptbahnhof ist oft verwaist. Warum jede zweite Schicht in Gelsenkirchen nicht mehr besetzt werden kann.
- Hilfesuchende stehen am Gelsenkirchener Hauptbahnhof oft vor der verschlossenen Türen der Bundespolizei
- Die Beamten sind oftmals als Unterstützung in anderen Städten des Ruhrgebiets oder des Landes im Einsatz
- Zugespitzte Situation: Jede zweite Schicht in Gelsenkirchen konnte zuletzt nicht mehr besetzt werden
Dramatisch verschlechtert hat sich die Personalsituation der Bundespolizei in Gelsenkirchen mit ihrer Wache am Hauptbahnhof. Konnte im Frühjahr 2016 die Hälfte der Schichten besetzt werden, so war es ein Jahr später nur noch ein Drittel – das geht aus einer Antwort des Bundes nach einer Anfrage der Gelsenkirchener Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic hervor.
„Bisher hat die Regierung es stets so dargestellt, dass solche temporären Nichtbesetzungen von Bundespolizeirevieren die Ausnahme sein sollen. Wenn das nun die Regel ist, sind die Probleme weitaus größer, als uns die Bundesregierung bisher weismachen wollte“, sagt die innenpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion und Obfrau im Innenausschuss.
Zuständigkeitsgebiet umfasst 6000 Quadratkilometer
Die Probleme sind tatsächlich massiv. „Täglich sind in unserem Zuständigkeitsbereich gut 500. 000 Pendler unterwegs“, sagt Volker Stall, Sprecher der Bundespolizei Dortmund. Nach wie vor müssten die hiesigen Kräfte Lücken stopfen, die sich anderswo auftäten: An der Grenze in Bayern, an den Flughäfen München, Frankfurt, Düsseldorf und Dortmund. Ein weiteres Loch schlügen jene Beamte, die sich freiwillig zu UN-Missionen im Kosovo, Irak oder Afghanistan meldeten (gut dotiert, aber lebensgefährlich). „Das alles zieht uns die Beamten von der Straße und aus den Revieren ab“, seufzt Stall.
Die Gelsenkirchener Wache ist der Bundespolizei in Dortmund unterstellt – deren zu überwachendes Gebiet umfasst 6000 Quadratkilometer mit zig Revierstädten wie Essen, Dortmund und Gelsenkirchen, Duisburg und Oberhausen ausgenommen. Es erstreckt sich von Mülheim über Herne, den Kreis Recklinghausen bis hin nach Hattingen, Hagen, Lüdenscheid und Werdohl im Sauerland.
Überwachen im Dreischichtbetrieb
Im Dreischichtbetrieb überwachen sechs Beamte – auf dem Papier – den Gelsenkirchener Hauptbahnhof werktags, im 12-Stunden-Rhythmus am Wochenende, die U-Bahn ausgenommen.
Das aber ist kaum mehr möglich, weil ihre Unterstützung „immer öfter andernorts gebraucht wird“, wie Stall erklärt. Beispielsweise an den stark frequentierten Umsteigestädten Essen und Dortmund. Gerade an Wochenenden sei das heikel für Gelsenkirchen, denn „die Problematik mit libanesischen Clans besteht noch immer. Und auch die Kleinkriminalität, die Taschendiebstähle, halten die Beamten ständig auf Trab.“
Es türmen sich Überstundenberge auf
Die Wache der Bundespolizei am Hauptbahnhof ist damit faktisch notorisch unterbesetzt oder verwaist. Jürgen Lipke, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei der Kreisgruppe Westfalen/Ruhr, bestätigt dies auf Anfrage. Und er liefert Zahlen, die den Mangel belegen: „330 Kräfte stehen uns etwa im Einzugsgebiet zur Verfügung, davon sind etwa 180 für den operativen Dienst vorgesehen. 20 Prozent fehlen von Haus aus, bis zu 50 Prozent vom Rest müssen wir an andere Stellen abgeben.“ 200 Überstunden für einen Bundespolizisten sind laut Lipke daher der Normalfall, nicht wenige haben eine 500 auf dem Zettel stehen.
Das Bundespolizeipräsidium in Potsdam konnte unsere Fragen zur Personalnot nicht so schnell beantworten.
Dienstagmittag am Neustadtplatz. Wir klingeln an der Wache der Bundespolizei. Niemand öffnet. Eine Durchsage ertönt: „Bitte bewahren Sie Ruhe. Ihr Notruf wird gleich weitergeleitet. . .“ Die Beamten, so erfährt die WAZ später, sind gerade auf dem Weg zu einem Einsatz in Essen. Da haben Straftäter viel, sehr viel Zeit.