Gelsenkirchen. . 132 Übergriffe auf Beamte stehen in der Gelsenkirchener Statistik für 2016. Allerdings sind nur die Widerstandhandlungen gelistet. Ein Einblick.

  • Bereitschaftspolizistin sieht sinkende Hemmschwelle und zunehmende Gewaltbereitschaft gegen Beamte
  • Die Zahl der angezeigten Fälle von Widerstand gegen Polizeibeamte stieg in Gelsenkirchen von 125 auf 132
  • Die tatsächlichen Fallzahlen dürften aber höher liegen - denn die Beweisführung endet nicht selten erfolglos

Seit zwölf Jahren steht die Gelsenkirchener Bereitschaftspolizistin Silke* an vorderster Front. Im Fußballstadion, bei Demonstrationen, früher auch bei Castor-Transporten oder bei Hausbesetzern. Die Polizeihauptkommissarin hat schon so ziemlich alles erlebt: den Beschuss mit Pyros, Molotow-Cocktails, Flaschen, Steinen, Angriffe mit Tischen, Stühlen oder Zaunlatten. „Beleidigungen in Fäkalsprache“, sagt sie , „zähle ich schon gar nicht mehr.“ Dutzende Anzeigen habe sie deswegen bereits gestellt.

Die 42-Jährige spricht das aus, was Zahlen belegen: „Die Hemmschwelle ist stark gesunken, die Gewalt gegen Einsatzkräfte hat zugenommen.“ Was sie und ihre Kollegen besonders frustriert, ist, dass sich das Bild der Polizei als Garant für Sicherheit und Frieden bei einer wachsenden Gruppe ins Gegenteil verkehrt hat. „Die Polizei als Feind“, der Punching-Ball von skrupellosen Krawallsuchern.

Übergriffe steigen um fünf Prozent

125 angezeigte Übergriffe (Widerstand gegen Polizeibeamte) hat es 2015 in Gelsenkirchen gegeben, im Vorjahr waren es 132 solcher Fälle, das ist ein Plus von fünf Prozent. Die Aufklärungsquote lag dabei bei 100 respektive bei 99, 24 Prozent.

Landesweit registriert wurden 6161 solcher Übergriffe in 2015, im vorigen Jahr waren es 7021 (+14 Prozent). Das Gewaltlagebild auf Landesebene spricht von 8955 Übergriffen – darin sind neben Widerstand und Beleidigungen auch Körperverletzungen gegen 16 710 Beamte (+20 Prozent gegenüber 2015) enthalten. Adäquate Daten für Gelsenkirchen gibt es nicht.

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Die Zahlen zeichnen ein erschreckendes Bild. Und es dürfte in Wirklichkeit noch deutlich hässlichere Schattierungen haben, denn die Dunkelziffer bleibt außen vor. „Vieles geschieht aus der Anonymität der Masse heraus“, erklärt Silke. Die Täter seien ja nicht dumm. „Selbst die Kameraüberwachung kann bei der Beweisführung oftmals nicht viel helfen, wenn Steine und Flaschen aus einem Pulk heraus auf uns fliegen.“

Beschuldigte kommen straffrei davon

Ähnlich sieht es bei Beleidigungen aus. „Im dichten Gedränge lässt sich kaum zuordnen, wer was gesagt hat“, weiß auch Polizei-Gewerkschafter Matthias Büscher. Das beste Beispiel seien die gängigen A.C.A.B-Schmähungen. Hinter dem Kürzel steht die Parole „All cops are bastards“, wörtlich bedeutet das „Alle Polizisten sind Bastarde“. Höchstrichterlich sei da schon entschieden worden, dass Beschuldigte straffrei davonkommen, weil der „persönliche Bezug“ fehlte. Also, dass sich die Beleidigung gegen jemand Bestimmten richtete.

Ähnlich gelagert war im Übrigen auch der Fall, wo Bundeswehrangehörige mit „Alle Soldaten sind Mörder“ angegangen wurden.

Solche Hürden und die Einstellung des Verfahrens vor Augen, führen nach Einschätzung der Bereitschaftspolizistin und des Gewerkschafters nicht selten dazu, dass sich Polizisten nicht mehr die Mühe machten, Anzeige zu erstatten. Viel Aufwand für wenig Ertrag – das schreckt ab, das frustriert.

Mehr Rückhalt gefordert

Mehr Rückhalt wünscht sich Bereitschaftspolizistin Silke daher von Justiz und Medien. Sie sagt: „Die Gesetze sind da, man muss das Strafmaß aber auch ausschöpfen. Und im Fernsehen erscheinen oft nur Bilder, wenn der Stock im Einsatz ist, und nicht die, wenn wir Flaschen und Steine an den Kopf geschmissen bekommen.“

Bleibt die Frage, warum sich Silke das alles antut. Sie sagt: „Polizistin zu sein, ist mehr Berufung als Beruf – wir haben ein Samariter-Gen.“ (* Name geändert)

73 Prozent der Täter sind polizeibekannt

Nach Einschätzung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) lässt sich die Zahl der Übergriffe auf Polizisten in NRW „nahtlos auf Gelsenkirchen übertragen“, so Matthias Büscher. Das bedeutet, dass Gelsenkirchen bei einer Zunahme von 14 Prozent bei 150 Fällen (Beleidigungen, Widerstand, Körperverletzungen) für das Jahr 2016 läge. Büscher betonte in dem Zusammenhang, dass Polizeipräsidentin Anne Heselhaus-Schröer, „alle Betroffenen ermuntere, auch gegen verbale Übergriffe vorzugehen“.

Die GdP hofft, dass die Gewalt durch die beschlossene Gesetzesverschärfung eingedämmt wird. Der Bundestag hatte jüngst erst den Weg freigemacht, damit künftig tätliche Angriffe bei einfachen „Diensthandlungen“ wie Streifenfahrten oder Unfallaufnahmen mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden können.

Aus der Polizeistatistik geht hervor, dass 73 Prozent der Täter „männlich, jung und polizeibekannt“ sind. Ihre „Aktionszeiten“ sind die Nacht- und Abendstunden von Freitag bis Sonntag.