Gelsenkirchen. . Wer ständig eine Toilette in der Nähe braucht, leidet. Das WAZ-Medizinforum mit dem Sankt Marien-Hospital informierte über Beckenbodenschwäche.
- Beckenbodenschwäche zählt zu den häufigsten Erkrankungen und ist trotzdem ein großes Tabuthema
- Ursache können Geburten, Übergewicht, Rauchen, anatomische Veränderungen und Medikamente sein
- Der richtige Sport, Elektrostimulation, spezielle Pflaster und Operationen sind mögliche Therapien
Hätten wir uns im Laufe der Evolution nicht den aufrechten Gang angeeignet und bei der Entwicklung zum Menschen nicht den Schwanz abgelegt, wir hätten wohl ein Problem weniger: die Beckenbodenschwäche. „Denn wenn Tiere mit dem Schwanz wedeln, bewegen sie den Beckenboden“, erklärt Dr. Adalbert Waida, Chefarzt der Frauenklinik und Geburtshilfe im Sankt Marien-Hospital Buer, beim WAZ-Medizinforum am Mittwoch im Michaelshaus.
Beckenbodenschwäche ist noch Tabuthema
Obwohl es in der Fernsehwerbung einen erheblichen Raum einnimmt, ist das Thema Beckenbodenschwäche mit der damit verbundenen Harninkontinenz immer noch ein Tabuthema. Dabei ist es weit verbreitet, betrifft Frauen wie Männer.
Die Ursachen sind vielfältig, erklärt Kerstin Kampkötter, Oberärztin der Frauenklinik und Geburtshilfe. Eine ist die Schwangerschaft. „Das Kind im Bauch drückt nach unten, der Beckenboden wird gedehnt. Dazu kommen Hormone, die dazu führen, dass alles ein bisschen weicher wird. Für die Geburt ist das gut.“ Für die Blase weniger. Ist das Kind besonders schwer, verstärken sich die Symptome. Auch zu frühe Belastung nach der Geburt könne schaden. „Die Frauen trainieren zu früh den Bauch, weil der ja hängt. Die Rückbildungsgymnastik aber wird ausgelassen.“ Das Beckenbodentraining sei jedoch wichtig. Helfen können Sportarten wie Yoga, Pilates, Schwimmen, Nordic Walking und Radfahren in der Ebene. Weniger gut sind Hüpfen, Kraftsport und Joggen. Weitere Ursachen für Beckenbodenschwäche sind Übergewicht, körperliche Inaktivität, Rauchen, Hormonmangel, neurologische Erkrankungen und Medikamente wie Betablocker.
Empfohlen wird eine Änderung des Lebensstils
Sandra Ihmenkamp, Leitende Oberärztin im Haus, stellte Therapiemöglichkeiten vor. Etwa bei „Stressinkontinenz“, also wenn beim Husten oder Hüpfen Urin abgeht. Die erste Empfehlung ist eine Änderung des Lebensstils, Verzicht auf Kaffee, Nikotin und Tee sowie Gewichtsreduktion und regelmäßiges Training, bei jeder Gelegenheit. „Wenn sie an der Supermarktkasse warten müssen, machen sie einfach ihre Übungen.“ Hilft das nicht, kommen Medikamente wie Östrogene zum Einsatz.
Medikamente haben Nebenwirkungen
Größer ist der Leidensdruck bei einer überaktiven Blase. „Man hat immer das Gefühl, dass man muss. Es gibt bestimmt viele Frauen im Raum, die jede Toilette in Buer kennen“, spricht die Ärztin den Besuchern aus der Seele. Das Lachen im Saal gibt ihr recht. Die Ursache kann eine Krankheit sein, eine Verengung des Harngangs oder auch nicht ermittelbar. „Der erste Ansprechpartner bei solchen Problemen ist immer ihr Frauenarzt.“ Auch hier kann ein Training des Beckenbodens und der Blase helfen. Ein Weg: Den Toilettengang nach der Uhr richten und die Abstände schrittweise verlängern. Medikamente können das Zusammenziehen der Blase verhindern. „Die haben jedoch Nebenwirkungen wie erhöhter Augeninnendruck, Mundtrockenheit oder Verstopfung.“ Am besten verträglich sei ein spezielles Pflaster, dessen Wirkstoffe über die Haut aufgenommen werden. Auch Botoxinjektionen können für acht Monate die Symptome lindern ebenso wie elektrostimuliertes Training, spezielle Pessare und Tampons.
Maßgeschneiderte Therapien
Wenn aber Senkungen von Organen vorliegen oder andere organisch-anatomische Ursachen, sei eine Operation unvermeidlich. „Wo Muskeln durchgerissen sind, können sie auch nicht durch Training gestärkt werden. Dann rekonstruieren wir in einer maßgeschneiderten Therapie, was kaputt ist.“ Der Eingriff erfolgt minimalinvasiv. Möglich sei auch die „Neuromodulation“, der Einsatz einer Art Schrittmacher, der elektrische Impulse aussendet. Am Ende bleibt dem Mediziner ein Fazit: „Zu wenige Patienten sprechen über ihre Probleme mit ihrem Arzt.“ Denn auch bei Beckenbodenschwäche gibt es Abhilfe.
Nächstes Medizinforum im Juni
Das nächste WAZ-Medizinforum wird am Mittwoch, 21. Juni, stattfinden, und zwar ab 18 Uhr. Das Elisabeth-Krankenhaus in Erle ist dann mit im Boot.
Thema des Abends ist „Sprechen wir über Schizophrenie“. Referentin wird die Chefärztin im Haus sein, Dr. Astrid Rudel. Mehr Details, auch zur Anmeldung, Ende Mai in Ihrer WAZ.