Gelsenkirchen. . Vier Jahre nach dem Zechen-Aus kam die Bundesgartenschau. Im Sommer 1997 lockte sie 1,7 Millionen Menschen in den Gelsenkirchener Nordsternpark.
Am Wochenende wird im Nordsternpark groß gefeiert: 20 Jahre Bundesgartenschau. Im Sommer 1997 kamen fast 1,7 Millionen Menschen nach Gelsenkirchen. Die WAZ blickt zurück . . .
138 Jahre Kohlegeschichte
Zwischen blühenden Blumen, grünen Landschaften und lebendiger Industriekultur: der Nordsternpark, Bindeglied von Horst und Heßler, eine Landmarke, eine Erfolgsgeschichte, fußend auf dem schwarzen Gold des Ruhrgebiets: auf Kohle. Ohne die Zeche Nordstern – und, der Vollständigkeit halber: ohne die Absage der Essener – hätte es 1997 keine Bundesgartenschau in Gelsenkirchen gegeben. Ein Rückblick im Zeitraffer.
- 1855 wurden in der Gemarkung Horst nördlich der Emscher mehrere Grubenfeldbesitztümer unter dem Namen Blücher I–III konsolidiert. Die sich bildende Gewerkschaft Blücher begann 1857 mit dem Abteufen eines ersten Schachtes auf Blücher III. Dieser musste bereits nach kurzer Zeit wegen zu hoher Wasserzuflüsse aufgegeben werden.
- 1858 wurde südwestlich des Dorfes Horst mit dem Abteufen eines neuen Schachtes Zeche Blücher I begonnen. Wegen Insolvenz der Gewerkschaft Blücher musste dieser Schacht 1860 ebenfalls gestundet werden. 1860 wurde die Essen-Arenberger Bergbau-Gesellschaft als Aktiengesellschaft gegründet, welche das Kapital der Gewerkschaft Blücher übernahm.
Der Strukturwandel begann 1997 erfolgreich
Fast 1,7 Millionen Menschen haben die Bundesgartenschau im Nordsternpark besucht, die am 5. Oktober 1997 endete. Der Mut der Stadt Gelsenkirchen, nur vier Jahre nach der Stilllegung das Nordstern-Areal in eine blühende Buga-Landschaft zu verwandeln, hat prächtige Früchte getragen.
Dieses „Pfund“ an Emscher und Kultur-Kanal will Gelsenkirchen auch 2027 einbringen. Bekanntlich will sich die Metropole Ruhr als Austragungsort der Internationalen Gartenbauausstellung (IGA) bewerben. Der Nordsternpark könnte dann als „Zukunftsgarten“ ein zentraler Spielort werden.
Zurück ins Hier und Jetzt. Ohne die Buga 1997 gäbe es Vivawest am Nordstern-Standort nicht. Das Ereignis hatte seinerzeit beim Vorgängerunternehmen THS erst die Idee ausgelöst, sich hier anzusiedeln. Auch Heiner’s Parkhotel samt Biergarten würde wohl niemand kennen.
Dessen Geschichte begann im Magazin der stillgelegten Zeche Nordstern eher schlicht: als Selbstbedienungsrestaurant für Besucher der Gartenschau. Schnell ‘ne Currywurst mit Pommes und dann zurück zu Blumen, Kultur, Klanggarten und den spannenden Gang durch den ehemaligen Kohlebunker ...
Zwischen 1300 und 1500 Beschäftigte gibt es heute am Standort Nordsternpark insgesamt. Als „Erfolgsgeschichte des Strukturwandels“ bezeichnete Oberbürgermeister Frank Baranowski das kürzlich. „Es gibt nicht viele ehemalige Zechen-Standorte, die diese Bilanz vorweisen können.“ Die GGW als Grundeigentümerin der Nordsternpark GmbH ist äußerst zufrieden mit der Vermarktung.
Davon konnten die Verantwortlichen bei der Eröffnung der Bundesgartenschau vor 20 Jahren höchstens träumen. Erst mal die Gartenschau stemmen.
Und heute? Aktuell baut Vivawest an der Fritz-Schupp- Straße seine Zentrale aus und zieht einen Neubau für 270 weitere Mitarbeiter hoch. In einem dem Industrieensemble optisch angepassten Stil. Wenn Lohnhalle und Waschkaue 2018 freigezogen seien, könne hier neu vermarktet werden, sagte Stefan Eismann von der GGW beim Pressegespräch im Vorfeld der Buga-Geburtstagsfeier.
Nicht zu vergessen: Die Müller-BBM Holding AG siedelt sich mit 120 Mitarbeitern an, ein Inkasso-Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern wird in den Hallenkomplex der ehemaligen Firma Spinnrad ziehen. Die Firma Tensquare zieht von der Wilhelminenstraße zum Nordsternpark und will hier von 23 auf 30 Mitarbeiter wachsen. Das Gesundheits- und Fitnessunternehmen Green Fit hat sich hier bereits angesiedelt. Alles in allem kam Eismann zu dem Ergebnis: „Die Vermietung läuft hervorragend. Wir haben hier eine Marke etabliert: die Marke Nordsternpark.“
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Die Deutsche Bundesgartenschau-Gesellschaft (DBG) erinnert auf ihrer Homepage: „Zielsetzung und Rahmen dieser Bundesgartenschau waren ungewöhnlich. Die Gelsenkirchener wollten ihre Buga als Landschafts- und Ge werbepark präsentieren – auf dem Gelände eines ehemaligen Bergwerks und einer stillgelegten Kokerei.
Nach dem Beginn der teils spektakulären Arbeiten betrachteten die anfänglich skeptischen Gelsenkirchener die Gartenschau aber schnell als ,ihre Buga’.“ Wohl wahr.
Veränderungen akzeptieren, „sonst geht man kaputt“
„Kein Bergmann konnte sich damals vorstellen, dass hier eine Blümchenschau stattfindet.“ Reinhold Adam selbst auch nicht. Der Gründer des Geschichtsforums Nordsternpark kennt den Pütt und die Übertage-Entwicklung nach dem Kohle-Aus in Horst und Heßler in- und auswendig. Heute, mit 70 Jahren, seufzt er zufrieden: „Der Kelch der Industriebrache ist an uns vorüber gegangen.“
Gleichwohl: „Hier begegnet einem die Vergangenheit auf Schritt und Tritt. Hier trifft Vergangenheit auf Zukunft.“ Seine Vorträge, die er neben seinen regelmäßigen Führungen über das ehemalige Zechengelände hält, hat er vor diesem Hintergrund längst unter das Motto gestellt: „Statt der tausend Feuer.“ Mit „tt“ betont er ausdrücklich. Seine Philosophie ist eindeutig wie die Sprache im Ruhrpott: „Man muss Veränderungen akzeptieren, sonst geht man kaputt.“
Der Schalk blitzt in Adams Augen, wenn er erzählt, dass die Deutsche Welle vor der Schließung seines Pütts bereits „Ein Requiem auf Nordstern“ gesendet hätte. Von wegen. Kumpel Adam hat selbst eine DVD gemacht: „Nordstern lebt weiter!“
Der erhabenste Moment dieser besonderen Zechengeschichte? „Dass Nordstern keine Schrottimmobilie geworden ist.“ Ach, weit davon entfernt ist die Anlage, auf der schließlich weiter gefördert wird. Moment mal, gefördert...? Ja. „Wo früher Kohle war, wollen wir heute Kultur fördern.“ Reinhold Adam lacht. Zusammen mit den Kumpeln vom Freundeskreis Nordstern – Adam nennt sie Stollen-Verein wegen des 63 Meter langen Bergbaustollens, den sie betreuen – erreichen sie mehrere tausend Menschen im Jahr. Im Stollen gibt es Lesungen, Musik, Vorträge – und noch viel mehr Gespräche. Das Zechensterben haben sie alle längst akzeptiert. „Aber viele vermissen die Solidarität von damals, den Zusammenhalt, die Kolonie“, erzählt Reinhold Adam, Opa zweier Enkelkinder.
Der 70-Jährige ist ein echter Horster Junge, geboren im St. Josef – „Darum bin ich gegen die Schließung des Krankenhauses.“ 14 Jahre jung war er, als er am 4. April 1961 als Berglehrling auf Nordstern anfing – gegen den Willen seiner Eltern. Er ist einfach hingegangen, war später vier Jahre lang freigestellter Betriebsratsvorsitzender und hat die letzten Jahre seines Arbeitslebens auf der Zeche Westerholt geschafft.
Nachdem am 11. Februar 1993 auf Nordstern Schicht am Schacht war, hat der Bergmann den Schalter im Kopf auf Zukunft umgestellt. „Direkt nach der Schließung wurde hier mit dem Umbau für die Bundesgartenschau begonnen“, erinnert er. Hieß: Gleise raus, Durchstich der künstlich geschaffenen Halde mit der Pyramide, sieben neue Brücken – darunter das Schmuckstück mit dem Doppelbogen, Kanalbühne (heute Amphitheater) auf dem Kokerei-Gelände und, und ...
Er hat die Entwicklung ganz genau beobachtet. „240 Millionen DM wurden investiert.“ Da sprach ihm der damalige Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) aus dem Herzen, als der bei der Buga-Eröffnung 1997 lobte, der Nordsternpark sei der „modernste Landschafts-, Gewerbe- und Wohnpark Europas“. Und nicht zu vergessen: auf Kohle „geboren“.
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Die Frage, wie er denn den Herkules hoch oben auf dem Nordsternturm findet, beantwortet Adam mit einem einzigen Wort. Das fängt mit „sch“ an... Der 70-Jährige nennt in dem Zusammenhang ein viel wichtigeres Wahrzeichen für den Pütt und die Familien, die von der Kohle gelebt haben: den schmiedeeisernen Weihnachtsbaum, der seit den 1950er Jahren weithin sichtbar für Stimmung sorgt. Viele hätten damals keinen eigenen Weihnachtsbaum gehabt, sagt Adam. Der da oben, auf dem Zechenturm, der gehörte allen Menschen.
Für Adam ist der Nordsternpark schlicht, „der schönste Ort der Welt unter königsblauem Himmel!“ Womit nun endlich auch sein Verein erwähnt ist.
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