Gelsenkirchen-Erle. . Wohnen, lieben, den Alltag organisieren: Im Erler Haus Amanda lernen 16 junge Erwachsene mit geistigen Behinderungen, flügge zu werden.
- Vor fünf Jahren eröffnet, bietet das Haus Amanda jungen, geistig behinderten Erwachsenen eine Heimat
- In der Erler Einrichtung der Wichernhaus gGmbH trainieren die 16 Bewohner Selbstständigkeit
- Wer dazu in der Lage ist, kann bei ambulanter Betreuung in eine eigene Wohnung umziehen
Tschüss, Hotel Mama – her mit der großen Freiheit in den eigenen vier Wänden! Dieser Wunsch ist für junge Erwachsene völlig normal. Aber was heißt schon „normal“ für Menschen mit geistigen Behinderungen wie Bastian Hase (31)? Genau das: arbeiten, kochen, waschen, mit der Freundin nachts das Bett teilen und so oft wie möglich Tango tanzen. Alltag eben im Haus Amanda, einem stadtweit einzigartigen Wohnprojekt der Wichernhaus gGmbH in Erle. Vor fünf Jahren eröffnet, hilft es 16 jungen Frauen und Männern, flügge zu werden.
Ein roter, unauffälliger Ziegelsteinbau an der Strumannstraße, gepflegter Vorgarten, Pflanzen in den Fenstern; in der offenen Wohnküche mit Blick in den großen „Sinnesgarten“ blubbert die Kaffeemaschine, Kekse stehen auf dem Tisch: Die Bewohner zwischen 18 und 33 Jahren wissen, was sich gehört, wenn Besuch kommt.
Bastian Hase: „Ich will Koch werden und ausziehen“
Je nach ihren Einschränkungen bereiten sie das Essen eigenständig zu. Bastian Hase hilft besonders gerne mit. Er arbeitet in der Küche der Beckhausener Werkstätten und hat genaue Vorstellungen von seiner Zukunft: „Ich will Koch werden und ausziehen, am liebsten mit meiner Freundin zusammen“, erklärt er. „Wir sind schließlich verlobt.“
Dass er den Alltag grundsätzlich bewältigen könnte, daran zweifeln die 14 Betreuer nicht, die die Bewohner abwechselnd durch die Tage und Nächte begleiten. „Bastian lebt in der Gruppe mit dem höchsten Selbstständigkeitsgrad, er organisiert sich und seine Freizeit fast allein“, erklärt Stefan Paßfeld, Leiter des Wichernhauses, das getragen wird vom Diakoniewerk Gelsenkirchen und Wattenscheid.
Bewohner trainieren Alltagsfertigkeiten wie Bus fahren
Pünktlich aufstehen, zur Arbeit gehen, Hausarbeit erledigen, Finanzen verwalten, Medikamente einnehmen: All das trainieren die Mitarbeiter (nicht nur) mit ihm. Autonomie und Sozialverhalten der jungen Menschen zu fördern, ihrer Persönlichkeit Raum zu geben, ist das Hauptanliegen des Ambulantirisierungs-Konzepts.
„Bewohner wie Bastian mit nicht ganz so stark ausgeprägten Behinderungen sind Kandidaten für den Auszug in eine eigene Wohnung, natürlich mit ambulanter Betreuung. Bei fünf Frauen und Männern ist uns das seit dem Start 2012 gelungen. Das letzte Wort haben aber immer die Eltern“, sagt Paßfeld.
Übernachtungsbesuch von der Freundin kein Problem
Ein Blick in Bastian Hases Zimmer zeigt: Der 31-Jährige kann es kaum erwarten auszuziehen. Schon jetzt lebt er seinen individuellen Wohnstil mit überbreitem Bett, Kühlschrank, Hanteln, Fernseher und Vitrine voller Gläser. „So kann ich meiner Freundin etwas zu trinken geben, ohne in die Gemeinschaftsküche zu gehen“, erklärt der begeisterte Standardtänzer.
Allein zu leben, wäre dagegen für Timo Janowitz (23) kaum vorstellbar. Er lebt in der Erdgeschoss-Wohngruppe, deren Bewohner größere Hilfe benötigen – aber trotzdem täglich dazulernen. „Ich kann jetzt alleine zur Arbeit fahren“, erzählt er stolz, als er sein aufgeräumtes Zimmer mit Holzmöbeln und S04-Teppich zeigt.
„Toll zu erleben, wie Bewohner größer werden“
„Ein Jahr haben wir geübt, den Bus zu den St.-Georg-Werkstätten an der Emscherstraße zu nehmen. Dazu gehört auch Plan B, wenn er mal die falsche Linie erwischt. Es ist es toll zu erleben, wie die Bewohner ein Stück größer werden“, freut sich Paßfeld. - Timo tritt derweil unruhig von einem Bein aufs andere. Die Sonne scheint, er will raus: Kaninchen füttern.