Gelsenkirchen. . Fast jeder Zweite Patient sollte besser zu einem niedergelassenen Arzt gehen. Warum Patienten die Krankenhäuser und ihre Ambulanz so bevorzugen.
- Fast jeder Zweite, der Hilfe in der Notaufnahme sucht, sollte besser zu einem niedergelassenen Arzt gehen
- EVK behandelten im Vorjahr 52 422 Patienten in der Ambulanz, über die Hälfte waren Bagatellpatienten
- Lange Wartezeiten auf einen Arzttermin und die vielen Diagnosemöglichkeiten geben oft den Ausschlag
Ein Drittel bis knapp die Hälfte der Patienten, die in einer Notaufnahme Hilfe suchen, könnte genauso gut von niedergelassenen Ärzten, vom Haus- oder Facharzt, versorgt werden. Das geht aus einem Gutachten des Instituts für Angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (Aqua) hervor. Zahlen, die ebenso für Gelsenkirchen ganz typisch sind. Das bestätigen sowohl die hiesigen Krankenhäuser als auch die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen Lippe (KVWL).
Die KVWL zeichnet ein noch beunruhigenderes Bild. Nach Angaben ihres Sprechers Jens Flintrop „gehen 50 Prozent der Patienten zu Zeiten in die Notfallambulanz, in denen die Praxen der niedergelassenen Ärzte noch geöffnet sind.“
EVK hatte 52 .422 Patienten in der Notaufnahme
Ein Phänomen, das Dr. Hans-Albert Gehle, Oberarzt am Bergmannsheil, und Corinna Lee, Sprecherin der Evangelischen Kliniken (EVK), ebenso besorgt registriert haben. Das Bergmannsheil hatte 29 250 Patienten im Jahr 2015 in der Notfallambulanz, die EVK im gerade abgelaufenen Jahr sogar 52 422. Gehle sagt, dass „davon etwa ein Drittel keine echten Notfälle waren“, seine Kollegen am EVK beurteilen „mehr als die Hälfte der Patienten“ so.
Hans Christian Atzpodien, Sprecher des St. Marien Hospitals, beziffert die Zahl der ambulanten Patienten in 2016 mit 11 500. Ihm ist aus der Ärzteschaft die Not der Notaufnahmen bekannt. Er verweist darauf, dass man keine Statistik darüber führe, welche Patienten bei einem Haus- oder Facharzt genauso gut aufgehoben wären.
Krankenhäuser bleiben auf Mehrkosten sitzen
Atzpodien macht indes auf einen schwer wiegenden Faktor aufmerksam: das Geld. Einem durchschnittlichen Erlös von 32 Euro pro ambulantem Notfallpatienten stehen nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Kosten von circa 120 Euro gegenüber. Nach Informationen des Spiegel hat das zu einer Milliarde Euro nicht gedeckter Kosten geführt. Das Magazin beruft sich dabei auf ein Gutachten der Deutschen Krankenhausgesellschaft aus 2015. Atzpodien: „Ein echtes Problem, das bislang noch nicht gelöst ist.“ Seine Kollegin Corinna Lee formuliert es drastischer: „Die ambulante Notfallversorgung ist defizitär.“ Das gibt auch die KV zu.
Was aber tun? Schließlich ist der Patientenwille „eine Art Abstimmung mit den Füßen“, wie die Kliniken betonen. Weswegen die Notfallaufnahmen in der Regel keinen Hilfesuchenden wegschicken.
Krankenhaus steht für größere Sicherheit
Die Kassenärztliche Vereinigungs Westfalen Lippe unterhält 63 Notfalldienstpraxen, die meisten sind an Krankenhäuser angeschlossen – beispielsweise am Bergmannsheil. Auch gebe es, so die KV, einen Fahrdienst, der es den Ärzten ermöglicht, im Notfall Hausbesuche zu machen. Oder eben den Bereitschaftsdienst unter 116 117. Unter der Nummer können sich Patienten seit längerem außerhalb der Sprechzeiten bundesweit kostenlos informieren, welcher Arzt in ihrer Nähe Dienst hat. Bislang kennen und nutzen die Nummer aber nur wenige. Stattdessen sind die Notaufnahmen rappelvoll.
Die Gründe dafür sind vielfältig wie Oberarzt Hans-Albert Gehle sowie die Sprecher Corinna Lee und Hans Christian Atzpodien sagen: Sie reichen von Unwissen über die Zuständigkeit einer Notfallambulanz über den Sicherheitsaspekt, den eine Klinik mit vielen Fachabteilungen eben bietet, bis hin zu Bequemlichkeit. Die Wartezeiten beim Haus- oder Facharzt sind zumeist wesentlich länger als im Krankenhaus. Und das liegt oft nur um die Ecke.