Gelsenkirchen. Alle hauptamtlichen und Honorarkräfte hat der Kinderschutzbund Gelsenkirchen entlassen. In der Kasse fehlt Geld, von Belegen keine Spur.
Der Jugendhilfeskandal, der die Stadt seit der entlarvenden Monitor-Sendung am 30. April 2015 in Atem hält, steuert seinem politischen Ende entgegen. Das wurde in der achten Sitzung des vom Rat der Stadt extra eingerichteten Ausschusses zur Untersuchung von Fehlverhalten im Kontext der Gelsenkirchener Jugendhilfe (AFJH) deutlich.
Während CDU, Grüne, Linke und WIN klar für eine Fortsetzung der Arbeit plädierten, machten SPD und Piraten deutlich, dass sie dem Gremium keine Zukunft mehr einräumen. Ausdruck einer Diskussion mit weithin bekannten Standpunkten war das Abstimmungsverhalten, als es um den Verwaltungsentwurf eines Abschlussberichtes ging. Nur mit den Stimmen der SPD-Mehrheitsfraktion wurde er angenommen.
Es ist das Kompetenz-Dilemma, dass der Politik die Hände bindet. Sascha Kurth, Sprecher der CDU im Ausschuss, brachte es auf den Punkt: „Es gibt noch viele offene Fragen, die zu klären sind. Es gilt auch noch viele Fragen zu identifizieren, die wir vielleicht nicht klären können.“ Genau an dieser Stelle beginnen die Politiker sich inhaltlich im Kreis zu drehen. Was sich auch in mancher Kritik an dem sehr nüchtern abgefassten Verwaltungsbericht ablesen lässt, der allerdings nicht kommentierend sein darf.
Der Auflösungsvertrag schmerzt
Wenn Grüne und CDU, wie geschehen. selbst Dokumentationen formulieren, sind die nicht zuletzt in Teilen wertend. Natürlich. Denn es geht um Fragen wie: Wer wusste eigentlich was in der Verwaltung und anderen Institutionen wie Awo, Kinderschutzbund und St. Augustinus zu welcher Zeit über die Vorgänge bei der Neustart kft im ungarischen Pecs oder auf dem nicht weit entfernten Ferien-Reiterhof Tekeres in Orfü?
Auch ist offen, ob bei St. Augustinus nicht wissentlich, zumindest aber billigend eine gezielte Überbelegung des Kinderheimes St. Josef in Zusammenarbeit mit dem Gelsenkirchen Jugendamt in Kauf genommen worden ist, um die wirtschaftlichen Ergebnisse der Einrichtung zu schönen.
Teile der Politik schmerzt auch der Auflösungsvertrag mit Alfons Wissmann, dem ehemaligen Jugendamtsleiter, der mit der Stimmenmehrheit der SPD zustande kam. Die jüngste Niederlage der Stadt gegen Thomas Frings, dem Jugendamts-Vize, in der Berufungsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht in Hamm sitzt so tief wie ein schmerzhafter Stachel. Da hilft es vielen im Ausschuss auch nicht weiter, wenn Thorsten Herbert, der Prozessbevollmächtigte der Stadt in dieser Angelegenheit auf Anfrage des Piraten Hansen einräumt, dass mit Kenntnis von heute wohl ein Arbeitsgerichtsprozess gegen Wissmann verloren worden wäre.
Wie viel offene Recherche es gibt, verdeutlicht dies: Der Deutsche Kinderschutzbund Gelsenkirchen (DKSB) teilte dem AFJH am Freitag in einem schriftlichen Zwischenbericht mit, dass er nicht nur fünf hauptamtliche, sondern auch alle Honorarkräfte entlassen habe. Darüber hinaus würde derzeit gemeinsam mit der Sparkasse Gelsenkirchen nach 40 000 Euro Bargeld gefahndet, die, ohne entsprechende Belege zu verbuchen, der Kasse des DKSB entnommen worden sind. Sie sind (noch) spurlos verschwunden. Die Politik erinnerte daran, dass Frings mal der 2. Vorsitzende dieser Institution war.
Dem Gremium fehlt die Macht
Und doch steht der Ausschuss vor seinem Aus, wenn der Rat der Stadt es am Donnerstag, 7. Juli, in seiner Sitzung auf Antrag von Jürgen Hansen so beschließen sollte. Der Grund ist der eingangs erwähnte: Dem Gremium fehlt die Macht. Geladene Gäste kommen nicht, weil sie nicht aussagen müssen. Das kann man verwerflich finden und in die Frage ableiten: „Warum kommen nicht zumindest die, die nichts zu verbergen haben?“ Weil sie sich nicht zwischen die Mühlsteine der Politik begeben möchten. Die will zwar aufklären, keine Frage, aber sie will auch politisches Kapital aus einem Ereignis schlagen, das für immer ein dunkles Kapitel in der Gelsenkirchen Geschichte bleiben wird.
Nur die Staatsanwaltschaft kann noch Licht in die Schwärze der Ermittlungsnacht bringen. Sie, erläuterte Rechtsdezernent Dr. Christopher Schmitt, sei am Ball, lasse sich aber nicht in die Karten schauen. Von niemandem. Da geht es um Vorteilsnahme im Amt, da sind die Vorgänge bei St. Augustinus und dem Deutschen Kinderschutzbund offenbar nicht vom Tisch.
Und damit lebt die Hoffnung, dass es am Ende einer moralisch völlig verwerflichen Geschichte so etwas wie (strafrechtliche) Gerechtigkeit geben könnte. Vielleicht.