Gelsenkirchen. An der Gelsenkirchener Hauptfeuerwache üben Feuerwehrmänner, wie sie Menschen in Lebensgefahr retten können. Umsicht und Kondition sind das A und O.
Gas geben, das dürfen Michael Wischmeier (32) und Björn Sibbe (33). Die Fernbedienung macht’s möglich. Was das bedeutet, fühlen ihre Kollegen augenblicklich. Rauch versperrt schon im engen Treppenhaus die Sicht und nimmt Ungeschützten den Atem, dazu Flammen, die an Wänden und Decken entlang zucken. Unter den gefräßigen Feuerwalzen liegt in einem Raum ein scheinbar bewusstloser Mann. Lebensgefahr, jetzt zählt jede Sekunde, jetzt muss jeder Handgriff der Feuerwehrmänner sitzen.
Der Sicherheitstrupp, zwei Mann unter Atemschutz, rücken tief geduckt vor. Der Helfer am Kopf überprüft den Zustand des Opfers, der Helfer an der Seite versorgt den Mann sofort mit Sauerstoff aus einer Atemflasche. Ihre Hände fliegen. Das Duo wickelt den Mann fix in ein Bergetuch, hievt ihn hoch und trägt ihn sitzend aus dem brennenden Zimmer im ersten Stockwerk hinunter ins Freie – geschafft, Auftrag erfüllt. Michael Wischmeier und Björn Sibbe nicken anerkennend.
Es ist Fortbildungstag an der Seestraße. Im Brandhaus an der Hauptfeuerwache in Gelsenkirchen trainieren neun Feuerwehrmänner mit den beiden Ausbildern den Ernstfall. „Da weißt du echt, was du getan hast“, ächzt Carsten Stadtler. Er ist nassgeschwitzt, als er Maske und Helm abnimmt und die dicke Schutzkleidung für ein bisschen Abkühlung lockert. Der 39-jährige Brandmeister nimmt wie seine Kollegen an der jährlichen (Pflicht-)Veranstaltung teil. Und die hat es in sich, weil so vieles den Teilnehmern abverlangt wird. „Am härtesten ist die Atemschutzübung, 75 Minuten lang“, sagt der Feuerwehrmann, der gerade noch seinen vermeintlich verunglückten Kollegen aus dem Brandhaus geschleppt hat. Der tückische Parcours, den es mehrfach zu bewältigen gilt, lässt alle Muskeln brennen, jagt den Puls jäh nach oben. Und erst die Endlosleiter: „Zwei Minuten in voller Ausrüstung steigen, steigen und nochmals steigen“, erzählt Stadtler. „Hölle.“ Rocky Balboa beziehungsweise Ivan Drago lassen grüßen. Geht der Puls über die Marke von 200 Schlägen minus Lebensalter, hat der Teilnehmer nicht bestanden.
Harter Gegner: der Stress
Stress ist einer der gefährlichsten Gegner der Lebensretter. Er verleitet zu Fehlern. Deshalb lässt Marcus Frenthoff üben, üben und nochmals üben. Der 46-Jährige ist Brandinspektor und hat als Sprecher der Heißausbildungsgruppe seine Kollegen wachsam im Blick. Frenthoff würde im Normalfall die Fortbildung leiten, heute aber muss er zugleich der WAZ Rede und Antwort stehen, deshalb begleiten Michael Wischmeier und Björn Sibbe die Kollegen ins Brandhaus, beobachten, beurteilen und besprechen danach richtiges wie falsches Vorgehen. „Fehler“, so Frenthoff, „können so einige passieren.“ Etwa bei der Sauerstoffversorgung, wenn die Anschlüsse mangels Sicht oder wegen zittriger Hände verkanten. Oder beim Zusammenspiel des Sicherheitstrupps – wenn Windeltechnik und Bergetuch nicht sitzen.
In einer Verschnaufpause führt Marcus Frenthoff uns durch die Räume des Brandhauses. Von außen hat es was von einem Bunker, von innen ähnelt es einem typischen Einsatzort: enges Treppenhaus, Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche auf verschiedenen Etagen – Nebelmaschinen verrauchen Zugänge und Räume, regulierbare Gasleitungen sorgen für ausreichend Zündstoff. Realer geht es kaum. „Mehr als 800 Grad Celsius herrschen hier, wenn es zu einer Durchzündung mit Stichflamme kommt“, erklärt Frenthoff beiläufig.
Die Zeit ist ein ebenso unliebsamer Kontrahent. 1800 Liter hochkomprimierte Atemluft trägt ein Feuerwehrmann in einer Flasche auf dem Rücken, im Einsatz, bei Schwerstarbeit und Stress, reicht das für 30 Minuten. Vermeintlich viel und doch so wenig, denn im Ernstfall entscheiden Sekunden, insbesondere wenn der direkte Weg zu den Menschen mit Hindernissen gespickt ist. Wenn beispielsweise die Sicht bei dichtem Rauch gleich null ist. Auch das ein Szenario, das wieder und wieder durchgespielt wird. „Per Verdunklungsmaske“, sagt Frenthoff. Er schaut dabei aus sicherer Entfernung den Übenden zu, wie sie sich systematisch vortasten, um zu dem Verunglückten vorzustoßen.
Heikel und besonders belastend für die Psyche der Retter wird’s, wenn der Gesuchte nicht ein Erwachsener, sondern ein Baby ist. Den vergleichsweise kleinen Körper in den Räumen zu entdecken, ist ungleich schwerer. Das dauert. Der Dummy, neben einer mannsgroßen 80-Kilogramm-Puppe im Treppenhaus deponiert, sieht schon reichlich mitgenommen aus. Die (Brand)Spuren zeugen von den Mühen, die die Feuerwehrmänner tagtäglich auf sich nehmen, um anderen im Notfall beizustehen. Und auch davon: dass der Tod keine Kompromisse macht.
Breschen schlagen
Die Erinnerung an die Verwüstungen durch den Pfingststurm Ela ist vielen noch gut im Gedächtnis. Unzählige Bäume sind damals in Gelsenkirchen entwurzelt worden, stürzten auf Straßen und Dächer, begruben Autos und Häuser unter sich. Da Menschen zu Hilfe zu kommen, erfordert schweres Gerät. Eines der am meisten genutzten ist die Kettensäge. Auch die Feuerwehr Gelsenkirchen hat davon mehr als reichlich Gebrauch machen müssen – der richtige Umgang mit der Säge ist auch Teil der Fortbildung für die Rettungskräfte.
Schnitte für Entlastung
Einfach Säge an und los, das geht nicht und kann tödlich enden. Umgestürzte Bäume stehen oft unter Spannung, weil sie eingeklemmt sind, sich durchbiegen. Zug und Druck in Ästen und Stamm sind ungleich verteilt, es muss für Entlastung gesorgt werden. Wie die Retter solche Zug- und Druckbereiche erkennen, ist Teil der Fortbildung.
Die im Holz vorhandene Faserspannung kann zudem ein Einreißen oder Splittern des Holzes oder bewirken, dass die Sägeschiene eingeklemmt und das Arbeiten blockiert wird. Es besteht zudem die Gefahr, dass der Hobelzahn beim Umlauf um die Führungsschiene am Holz anschlägt und das Schwert nach oben schlägt – hohes Verletzungsrisiko. Die Feuerwehrmänner üben deshalb, die Kettensäge richtig anzusetzen und Trenn- und Entlastungsschnitte durchzuführen.
Bei unter Spannung stehenden Stamm- oder Astteilen, muss zuerst ein Entlastungsschnitt von der Druckseite her erfolgen. Danach kommt der Trennschnitt von der unter Zug stehenden Seite aus.
Vorsicht geboten ist auch bei großen, aufstehenden Wurzeltellern, wie sie in Gelsenkirchen zu sehen waren: Wer sich da mit der Säge dran macht, muss mindestens eine Wurzeltellerhöhe an Stammlänge stehen lassen. Ansonsten wird er von dem umkippenden Wurzelteller begraben.