Gelsenkirchen. Die Gelsenkirchener Zahnärztin Dr. Angelika Pertl-Sigmar behandelte in Tamatave notleidende Menschen. Mit einem „Mercy Ship“ zum ehrenamtlichen Hilfseinsatz nach Madagaskar.

Aushänge an den Türen der Behandlungsräume lassen erahnen, wessen Geistes Kind Angelika Pertl-Sigmar ist, was die Gelsenkirchener Doktorin für Zahnmedizin dazu bewogen hat, sich unentgeltlich in den Dienst für die Armen zu stellen – dieses Mal in Tamatave, der wichtigsten Hafenstadt Madagaskars. Auf einem Blatt steht zu lesen: „Der Mensch ist wie verwandelt, wenn man ihn menschlich behandelt.“ Ein Leitmotiv, das sich die 56-jährige Ärztin aus Buer zu Herzen genommen hat.

Früher Eisenbahnfähre, nach dem Umbau ein Hospitalschiff: die MS Africa Mercy.
Früher Eisenbahnfähre, nach dem Umbau ein Hospitalschiff: die MS Africa Mercy. © Mercy Ships

„Wer die Not am anderen Ende der Welt einmal selbst gesehen hat, der sieht danach in den Problemen unserer Konsumgesellschaft meist nur noch Befindlichkeiten“, sagt Angelika Pertl-Sigmar. Das Elend dort habe ihren eigenen Werte-Kanon nachhaltig verändert. Mehr Tiefe, mehr Sinn und auch mehr Qualität habe ihr Leben durch das Ehrenamt gewonnen.

Größtes privates Hospitalschiff der Welt

80 Patienten hat die Gelsenkirchener Ärztin in Tamatave täglich behandelt, seit sie im Frühjahr zur „Crew“ der Africa Mercy stieß. Zwei Drittel mehr als an einem Tag in Buer. Nur am Wochenende gab’s frei. Das Schiff ist die schwimmende Klinik der Hilfsorganisation „Mercy Ships“ vor Madagaskar. In einer nahen Klinik vor Ort hat die 56-Jährige praktiziert, zwei Wochen lang hunderte faule Zähne gezogen, zig Wurzeln behandelt oder auch wuchernde Abszesse aus den Kiefern von Jung und Alt entfernt. Immer an ihrer Seite: der Student Narcissi, ihr Übersetzer und Assistent zugleich.

Stundenlang haben Madagassen in Schlangen gewartet, um ihre Zähne versorgen zu lassen. In dieser Klinik wurde dafür eine Praxis eingerichtet.
Stundenlang haben Madagassen in Schlangen gewartet, um ihre Zähne versorgen zu lassen. In dieser Klinik wurde dafür eine Praxis eingerichtet.

Mercy Ships ist eine internationale christliche Hilfsorganisation, die insbesondere jenen Menschen hilft, die durch entstellende und behindernde Krankheiten, vielfach verstärkt durch extreme Armut zu Ausgestoßenen ihrer Gesellschaft geworden sind. Mercy Ships betreibt das größte private Hospitalschiff der Welt, die Africa Mercy, mit einer ständigen Besatzung von über 400 ehrenamtlichen Mitarbeitern – darunter Chirurgen, Zahnärzte, Krankenschwestern, Ausbilder im Gesundheitswesen, Lehrer, Köche, Seeleute, Ingenieure und Landwirtschaftsexperten. 50 bis 70 davon kommen pro Jahr aus Deutschland. Flug und Unterkunft müssen die Helfer selbst bezahlen.

Menschen Heilung und Hoffnung bringen

Angelika Pertl-Sigmar hat als Ärztin einiges gesehen, die hygienischen Verhältnisse, in denen die Madagassen leben, lassen ihr dennoch einen Schauer über den Rücken laufen. „Zentimeter langer Zahnstein, dutzende Patienten, bei denen wegen der Fäulnis gleich 15 Zähne gezogen werden müssen, alles keine Seltenheit.“ Besonders in Erinnerung ist ihr ein zwölfjähriger Junge geblieben, dem ein Tumor durch den Kiefer aus der Wangen wuchs – „was muss der für Schmerzen gehabt haben und wie hat er das so lange ausgehalten“, fragt sie nachdenklich.

Zahlen und Fakten rund um die Organisation

Bisher hat das christliche Hilfswerk Mercy Ships nach eigenen Angaben Dienstleistungen im Gesamtwert von mehr als 1,2 Milliarden US-Dollar in Entwicklungsländern erbracht.

Dazu gehören: mehr als 78 000 Operationen, etwa Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-Korrekturen oder auch orthopädische Eingriffe, die Behandlung von über 183 000 Zahnpatienten, an denen mehr als 353 000 Eingriffe vorgenommen wurden, die Schulung von mehr als 5800 Lehrern vor Ort für Gesundheitsfürsorge und die Fortbildung von über 35 300 einheimischen Fachkräften in ihren jeweiligen Fachgebieten (Anästhesie, Geburtshilfe, Sterilisation, Orthopädie und Chirurgie). Info: www.mercyships.de

Ein Artikel über Mercy Ships in einer Fachzeitschrift für Ärzte hat 2009 das Interesse von Angelika Pertl-Sigmar geweckt. Kurz darauf war sie schon in Nepal im Einsatz. Und ist fortan dabei geblieben. Sie opfert dafür ihren Urlaub und ihre Freizeit, die engagierte Ärztin sieht darin aber keinen Verlust, sondern eine Bereicherung – trotz Strapazen. „Praktizierender Christ muss man dafür nicht sein“, sagt Angelika Pertl-Sigmar. Entscheidend, und das schweiße das Team aus aller Welt zusammen, sei der Grundgedanke, anderen Menschen Heilung und Hoffnung zu bringen.

Ein Leitmotiv, dem sich mittlerweile auch Angelika Pertl-Sigmars erwachsene Tochter verschrieben hat. Sie studiert Zahnmedizin, begleitete ihre Mutter bereits nach Nepal – sicher keine schlechte Schule für das Leben.