Gelsenkirchen. Seit September ist die Emscher-Lippe-Halle Notunterkunft des Landes NRW. Frank Schmelting ist dort Einsatzleiter. Manfred Bojahr hilft ehrenamtlich.
„Wir sind erst seit viereinhalb Monaten am Ball. Gefühlt aber ist es so, als hätten wir nie etwas anderes gemacht“, sagt Frank Schmelting über seine Arbeit. Er lächelt dabei. Seit Oktober ist der 51-Jährige Awo-Einrichtungsleiter in der Emscher-Lippe-Halle – und die dient seit Mitte September als Flüchtlingsnotunterkunft des Landes NRW. Noch bis Ende März bleibt das so, danach wird die Halle zur städtischen Gemeinschaftsunterkunft.
Als Journalist dürfe man nicht in die Notunterkunft, sagt die Stadt. Wegen der Intimsphäre der Bewohner, begründet sie. Deshalb soll unser Gespräch vor der Halle stattfinden, das Foto wollen wir auch draußen machen. Als Frank Schmelting kommt, bittet er uns in die Halle. Solange kein Bewohner auf dem Bild sei, könne man das Foto auf dem Gelände machen.
„Es passiert viel Schönes hier“
Ihm sei es wichtig zu zeigen, was hier los sei. „Es passiert nämlich viel Schönes.“ Und so posiert er dann kurz: zwischen vorläufig aufgebautem weißen Zelt, in dem gerade Kinder gemeinsam spielen, und der Halle, in der zu diesem Zeitpunkt 228 Menschen wohnen. Aus Syrien, Iran, Irak, Afghanistan oder Bangladesch kommen sie, einige auch aus Somalia oder Eritrea. Bis zu 300 Personen passen in die 38 Parzellen, die provisorisch zusammengebaut sind aus weißen Planen und Bauzäunen, bestückt mit je acht Betten. Als Tür fungiert ein blickdichter Vorhang, nach oben hin sind die Räume offen.
Die Stimmung in der Halle changiert zwischen abwartend und lebendig. Einerseits sitzen die Menschen dort vor den Parzellen auf Bierbänken, blicken auf ihre Smartphones, reden wenig, warten. Andererseits rennen Kinder umher, einer fährt Inlineskates, überholt uns. Fällt hin, lacht. Schmelting hilft ihm auf, grüßt einen Bewohner im Vorbeigehen. Wir setzen uns in einen Lagerraum, zwischen Kartons voll mit Windeln, Rasierschaum, Deos oder Babynahrung. Im Büro sei zu viel los, sagt Schmelting.
Menschen kommen jetzt registriert
Sein Job: eine Sieben-Tage-Woche, nicht selten mit Arbeitstagen die bis zu 16 Stunden lang sind. „Alles ändert sich immer.“ Flüchtlingsströme sind nicht planbar. „Freitagabend kommt eine Meldung: ‘Montag kommen 120 neue Flüchtlinge zu uns’“, erklärt Schmelting. Dann muss für ausreichend Essen, frisches Bettzeug und saubere Zimmer gesorgt werden.
Mittlerweile funktioniere das schon besser. „Anfangs, da kamen viele Menschen noch unregistriert hierher. Denen hat man die Flucht noch angesehen.“ Heute, da seien sie schon registriert, hätten BüMA (Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender) und eine Nummer vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF. „In der Regel sind die Menschen sogar erstuntersucht.“
„Das sind Menschen, nicht Flüchtlinge“
Schmelting redet nicht über Flüchtlinge, er spricht über Menschen. Die Arbeit mit diesen füllt ihn aus. „Wenn sie gerne mit Menschen zusammenarbeiten, dann macht diese Arbeit immer Spaß.“ Sein Diensthandy klingelt. Er hat es immer dabei.
„Ich freue mich, wenn die Kinder Spaß haben“
Als Manfred Bojahr (81) auf den Treppenabsatz in der Emscher-Lippe-Halle tritt, wird es lauter und lebendiger. Ein kleiner Finger zeigt in Bojahrs Richtung, er gehört einem etwa Vierjährigen. Er ruft etwas auf Arabisch.
Aus den Gängen kommen Mädchen und Jungen angelaufen. Bojahr geht die Treppe hinunter, eine große Plastiktüte in seiner Hand. „Ich brauche nur herunter zu kommen und schon ist hier Heidewitzka“, sagt er.
Tüten mit Süßigkeiten oder Obst
Bonbons sind dieses Mal in der Tüte drin, manchmal ist es auch Obst. Die Kinder wissen das längst. Sie strecken ihre Hände aus in Richtung des Seniors, wer schon kann, der sagt ‘Bitte’ und ‘Danke’. „Wenn diese großen dunkelbraunen Augen aufblitzen weiß ich: Ich hab etwas Richtiges getan“, sagt Bojahr. Die eigene Rührung ist ihm anzusehen.
Seit Oktober kommt der ehemalige Bergmann und Schweißer ein- bis zweimal die Woche in die Halle. „Ich hab’ das ganze Elend durch die Fernsehberichte gesehen und wollte etwas tun“, sagt er.
„Herr Bojahr ist ein netter Dauergast“
„Herr Bojahr ist ein netter Dauergast“, sagt einer der Security-Leute am Eingang, klopft ihm kumpelhaft auf die Schulter und lacht. Bojahr hilft mit kleinen Aufmerksamkeiten: Süßigkeiten, Spielzeug oder Kleiderspenden. Er hilft vor allem der Kinder wegen. „Ich freue mich, wenn sie Spaß haben.“
Auch an Silvester war der Gelsenkirchener da. Er hat Feuerwerk mitgebracht. „Das war das Allerschönste, was ich hier erlebt habe“, erzählt er, die Augen werden glasig. Zusammen standen sie draußen vor der Halle; Männer, Mütter, Kinder – auch Bojahrs Frau. „Alle waren mucksmäuschenstill, haben sich nur auf das Feuerwerk konzentriert.“ Und als die Raketen endeten „stand da eine Traube um mich herum und alle wollten mich drücken“.
Gerne würde Bojahr noch mehr machen. Zum Schwimmen wollte er ein paar Kinder mitnehmen – und in den Weihnachtscircus. „Das darf ich leider nicht“, sagt er.