Gelsenkirchen. . Tagelang fand niemand die Leiche von Wolfgang S. in einem Gelsenkirchener Krankenhaus-Fahrstuhl. Die Ermittler stießen auf erstaunliche Erinnerungslücken.

Eine gelbe Krankenhauswand ist das letzte, das Wolfgang S. von der Welt sieht, bevor sich die Türen des Fahrstuhls schließen. Hier wird er sterben. Acht Tage lang gehen Patienten der Evangelischen Kliniken Gelsenkirchen ahnungslos an dem Edelstahlkäfig vorbei, der zwischen zwei Etagen steckengeblieben ist. Hier führt ihr Weg zur Schmerztherapie vorbei. Mitarbeiter eilen vorüber zur Caféteria.

Erst am 10. Juli 2015 findet ein Techniker die Leiche – in üblem Zustand. Wie ist Wolfgang S. gestorben? Warum blieb sein Körper so lange unentdeckt? Welche Rolle spielte die Haustechnik?

Ermittlungen zum Toten im Fahrstuhl eingestellt

Diese Fragen werden wohl nie geklärt werden, denn am Mittwoch stellte die Staatsanwaltschaft Essen ihre Ermittlungen ein – ihr Bericht weist große Erkenntnislücken auf. Und offenbar wollen auch die Evangelischen Kliniken nicht zur weiteren Aufklärung beitragen: Gestern wollte sich das Haus nicht zu dem Vorfall äußern. Und die Ermittler stießen auf erstaunliche Erinnerungslücken.

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Wolfgang S. ist Patient der Psychiatrie des Hauses. Er ist suchtkrank, lebt in einem Heim des Sozialwerks St. Georg. Am 2. Juli, um 14.01 Uhr, bleibt der Fahrstuhl stehen, ein technischer Defekt. Die Obduktion und die Untersuchung der Insekten in seinem Körper neun Tage später wird kein klares Ergebnis bringen; nur soviel: Wolfgang S. stirbt innerhalb der ersten zwei Tage ohne Gewalteinwirkung. Da er den funktionierenden Notrufknopf nicht drückt und niemand Klopfzeichen wahrnimmt, kann man spekulieren, dass er einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleidet, vielleicht sogar gleich als der Fahrstuhl steckenbleibt.

Psychiatrie-Patient Wolfgang S. drückte Notknopf nicht

Einen Tag darauf wird Wolfgang S. als vermisst gemeldet, eine große Suche beginnt – nur nicht im Fahrstuhl. Dabei melden ab diesem Tag gleich mehrere Stationen telefonisch die Störung des Lifts an die Haustechnik. „Konkrete Personen, die diese Störmeldungen entgegengenommen haben, waren nicht zu ermitteln“, erklärt die Staatsanwaltschaft. Immerhin hat sie herausgefunden, dass ein Techniker den Lift zwischen dem 3. und 10. Juli noch in eine Parkposition bewegt und den Hauptschalter umgelegt hat. „Der Zeitpunkt [...] konnte im Rahmen der Ermittlungen aber weder konkret fest­gestellt noch grob eingrenzt werden.“

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Staatsanwältin Valeria Sonntag: Von den „sieben Technikern will niemand einen Störanruf bekommen haben“. Auch könne sich von den Stationsleitungen keiner erinnern, mit wem er von der Technik gesprochen hat. Die Stilllegung werde nicht protokolliert, so dass der Zeitpunkt und der diensthabende Techniker nicht feststellbar sei. „Wir können daher keinen Verantwortlichen ermitteln. Es wurden keine Namen genannt, aus welchen Gründen auch immer.“

Störmeldungen wurden ignoriert

Eine Verwechslung der Haustechniker dürfte laut Sonntag eine Rolle gespielt haben: Tatsächlich wurden alle Aufzüge kurz vor dem Vorfall, am 30. Juni, von einer Fremdfirma gewartet und zum Betrieb freigegeben. Für einen anderen Fahrstuhl wurden Ersatzteile bestellt, aber mit einem Auftragsblatt, das auch den Unglückslift aufführt. Darum glaubte man wohl in der Technik, dass der Lift nach der Wartung gar nicht mehr in Betrieb genommen worden sei. Wohl deshalb seien die Störmeldungen ignoriert worden.

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Eine Verkettung „unglücklicher Umstände“ habe zum Tode von Wolfgang S. geführt, resümiert Sonntag. „Ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten bestimmter Personen war nicht feststellbar.“

Ist Wolfgang S., dieser aus der Gesellschaft gefallene Mensch, tatsächlich zufällig gestorben, als der Lift stehen blieb? Oder lag er noch eine Weile, unfähig oder nicht Willens den Notrufknopf zu drücken? Wurde der Fahrstuhl gar bewegt, als er noch lebte? Es bleibt ein Rätsel: dieser einsame Tod an einem öffentlichen Ort. Direkt neben dem Liftschacht befindet sich die Kapelle und Seelsorge des Hauses.