Gelsenkirchen. . Polizei Gelsenkirchen schlägt in einem internen Bericht Alarm: Clans sollen sich in einigen Stadtteilen ganze Straßenzüge aufteilen. Die Verwaltung bittet um Aufklärung beim Ministerium.
Die Bezeichnung „No go-Areas“ sorgt seit Wochen für Schlagzeilen. Der Ausdruck steht für kriminelle Brennpunkte und Straßenzüge, in die sich die Polizei angeblich nicht mehr hineintraut. Duisburg etwa stand da zuletzt im Fokus. Offenbar droht auch Gelsenkirchen ein solches Szenario. Das geht aus einem internen Bericht der Gelsenkirchener Polizeiwache Süd hervor, der der WAZ vorliegt.
Darin zeichnet die Polizei ein bedrohliches Bild: „(Personen)Gruppen mit kurdisch-libanesischer Abstammung im Alter von 15 bis 30 Jahren und neuerdings auch rumänischer Herkunft im Alter von 20 bis 40 Jahren reklamieren inzwischen in den Stadtteilen Bismarck, Ückendorf, Rotthausen sowie in der Alt- und Neustadt rund um den Hauptbahnhof einzelne Straßenabschnitte für sich...“ Diese seien szenetypisch „mit Internet-Cafés, Spielhallen, Teestuben und Shisha-Bars, davon mehrere ohne Konzession, gekennzeichnet, die durchaus als kriminogene Orte (überwiegend Rauschgiftkriminalität) bezeichnet werden können“.
Gewaltexzesse bestens vernetzer Clans
In dem Dokument ist von Gewaltexzessen bestens vernetzter Clans die Rede. Bei Einsätzen gegen deren Mitglieder sehen sich die Beamten nicht selten Gruppen von (per Handy mobilisierten) 50 bis 60 Personen gegenüber, die die Polizisten bis zum Eintreffen der Verstärkung angehen. Vorläufiger Höhepunkt: das Einschlagen auf eine Beamtin mit Dachlatten, die mit Nägel bestückt waren. Selbst ein „Warnschuss in die Luft“ ist schon abgegeben worden, weil die Beteiligten „kommunikativ überhaupt nicht zu erreichen sind“ und der Einsatz von „Pfefferspray keine Wirkung erzielte“.
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Im Zusammenhang mit den Clans spielt der Verein „Familien Union“ mit Sitz in Essen eine Rolle. Er setzt sich offiziell für die Integration von Ausländern, insbesondere kurdischer Abstammung, ein. Die Polizei ordnet ihn aber „als Exekutiv-Organ einer bestehenden Parallel-/Selbstjustiz kurdisch-libanesischer Großfamilien im westlichen Ruhrgebiet“ ein, die ihre Angelegenheiten selbst regelten.
Zwei Vertreter des Vereins – Walid Saado als Mitglied des Gelsenkirchener Integrationsrates und Pressesprecher Ibrahim Fahkro – sind laut Bericht am 28. Juli mit einem Vater in die Südwache gekommen, um sich über Übergriffe seitens der Polizei bei der Festnahme der beiden Söhne vier Tage zuvor zu beschweren. Ein Handyvideo sollte das belegen, laut Bericht konnte es das aber nicht. Dazu habe das Duo davon gesprochen, dass die Polizei „einen Krieg mit den Libanesen nicht gewinnen“ werde, weil sie zu viele seien. „Das würde auch für Gelsenkirchen gelten, wenn wir wollen.“ Eine Drohung, so die Einschätzung der Polizei. Zumal Walid Saado in früheren Gesprächen verdeutlicht hat, dass die Macht des in Gelsenkirchen wohnenden „Patrons“ weit über das Ruhrgebiet bis nach Berlin reiche.
Spitzentreffen anberaumt
Bei Fragen zu No go-Areas verweist die Stadt auf die lokale Polizeibehörde. Man ist offenbar alarmiert. Stadtsprecher Martin Schulmann: „Oberbürgermeister Frank Baranowski hat den Innenminister angeschrieben und um Aufklärung gebeten. Eine Antwort steht noch aus. In Kürze wird es zudem einen Termin des Verwaltungsvorstandes mit der Polizeipräsidentin und deren Führungsstab geben. Da steht das Thema auf der Tagesordnung. Die Stadt wartet hier dringend auf Erklärungen seitens der Polizei.“ Deren kurzes Statement lautet offiziell so: „Es gibt in Gelsenkirchen definitiv keine rechtsfreien Räume, keine No go-Areas. Und wir tun alles dafür, dass es das auch nicht geben wird.“
Familien Union dementiert die Darstellung der Polizei
Über den Pressesprecher der Familien Union, Ibrahim Fahkro, widerspricht Walid Saado der Darstellung der Polizei. Ihm zufolge wurde bei der Unterredung mit der Polizei ein Video des Vorfalls gezeigt, das belege, dass statt einem Pulk lediglich die beiden genannten zwei Söhne „an der unschönen Auseinandersetzung beteiligt waren“. Auf die Frage, warum die Polizei andere Informationen an die Presse liefere, habe man zunächst nichts gesagt. Der Polizei sei wichtig gewesen, dass das Video verschwinde.
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Saado bezeichnet den Vorfall als „schlichtweg erfunden“. „Ich werde von der Polizei in Konfliktsituationen oft als Vermittler zur Hilfe gerufen, damit Eskalationen vermieden werden können. Ich dachte zudem bisher, die Zusammenarbeit mit der Polizei würde von dieser positiv bewertet. Nach dieser Berichterstattung bin ich im Zweifel über den Sinn sämtlicher Integrations- und Vermittlungsarbeit, denn eine solche Vorgehensweise seitens der Polizei in Richtung Presse haben mein Vertrauen tief erschüttert.“