Gelsenkirchen. Stadt warf 58-Jährigem Interessenkollision durch Nebentätigkeit vor. Arbeitsgericht gibt ehemaligem stellvertretenden Jugendamtsleiter Recht. Verdacht reicht nicht. Stadt will in Berufung gehen.

Die erste Runde im Rechtsstreit mit der Stadt konnte der frühere stellvertretende Jugendamtsleiter Thomas Frings für sich entscheiden. Die Kündigung vom 18. Mai 2015 ist unwirksam, entschied am Dienstag die 4. Kammer des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen.

Die Stadt hatte ihre Verdachtskündigung auf die nicht genehmigte Nebentätigkeit des 58-Jährigen, seine vermeintliche führende Rolle bei Neustart kft wie auch eine systematisch betriebene Überbelegung des St. Josef Kinderheims gestützt. Das Gericht sah zwar Anhaltspunkte für einen ausreichenden Verdacht, hielt ihn jedoch für nicht so zwingend, dass eine Kündigung gerechtfertigt sei. Zu viele Fragen seien bei den Aktivitäten des Klägers noch offen geblieben.

Frings streitet Tätigkeit für Pecs ab

Frings bestreitet, Einfluss auf die Belegung des St. Josef Kinderheims genommen zu haben. In Verwaltungsfachgesprächen werde generell die Heimerziehung beschlossen, doch suchten Sachbearbeiter die Heime aus, nicht Leiter oder Stellvertreter. Rechtsrätin Marieke Miekeley begründet die Kündigung auch mit der Kindeswohlgefährdung, die durch die systematische Überbelegung erreicht worden sei. Thomas Frings habe davon profitiert, dass das Geschäftsmodell mit der Neustart in Pecs dank eines Deals mit St. Josef florierte. Frings räumt ein, das Objekt hin und wieder besucht zu haben. Seine Tätigkeit als stellvertretender Jugendamtsleiter hat aus der Sicht seines Anwalts Uwe Klima gar keine Geschäftsführertätigkeit für Neustart zugelassen. Frings bestreitet, je als Geschäftsführer für das Unternehmen im ungarischen Pecs tätig gewesen zu sein. Wohl hatte er eine Fahrt mit Anja Gresch, der damaligen Leiterin des St. Josef Kinderheims nach Pecs unternommen. Aus Sicht der Stadt geschah die Reise, um sich um Auslastung und Mieteinnahmen im Zusammenhang mit intensivpädagogischen Maßnahmen für Kinder zu kümmern. In Flyern hatte die Leiterin von St. Josef für das Heim geworben.

Der frühere Jugendamtsleiter Alfons Wissmann hatte in Pecs ein Appartment gemietet. Thomas Frings bestreitet, die Eigentumsverhältnisse auf dem Reiterhof zu kennen. Rechtsvertreter Torsten Herbert vom kommunalen Arbeitgeberverband hält es für lebensfremd, anzunehmen, Wissmann und Frings hätten nicht über die Gesellschaft gesprochen. Frings sei in Doppelfunktion als Kinderschutzfunktionär und Zuständiger für die Freizeitgestaltung aufgetreten.

Das Gericht stellte sich die Frage, ob bei der Verquickung dienstlicher Interessen mit Nebentätigkeiten nicht ein „Geschmäckle“ aufkomme. Gleichzeitig fragte die Vorsitzende, warum die Stadt nicht schon 2005 eingegriffen habe, als ihr das finanzielle Engagement des Klägers bekannt geworden sei.

Der Verdacht reicht nicht

Ein Skandal bleiben die Vorgänge, in die führende Mitarbeitern des Jugendamtes verwickelt waren, auch nach dem Urteil. Die städtischen Vertreter müssen die Entscheidung akzeptieren, auch wenn sie mit einem Gefühl der Ohnmacht ins Rathaus zurückkehren werden. Sie sind sicher, vieles zu wissen, ohne es nachweisen zu können. Verdachtskündigungen stehen häufig auf recht tönernen Füßen. Die Argumentationskette muss auch vor Gericht fest geschlossen sein.

Das Thema wird die Stadt vermutlich noch Jahre beschäftigen. Sie wird beim Landesarbeitsgericht in Hamm den zweiten Versuch starten, die Berechtigung der Kündigung nachzuweisen. Der Prozess hat offenbart, dass die Stadt in der Tendenz ihrer Vorwürfe richtig liegt. Klar sein muss ihr aber auch, dass nur eindeutige Indizien weiterhelfen können, Licht in das düstere Bild zu bringen. Verdächtigungen, und mögen sie noch so plausibel erscheinen, reichen nicht aus, den Richtigen zu treffen