Gelsenkirchen. Zwei Männer, ein Junge, zwei Hunde und drei Frettchen sind die vielleicht ungewöhnlichste Jagdgemeinschaft im Ruhrgebiet. Auf Pirsch mit Stadtjägern.
Frettchen-Manni hat eine einfache Formel. „Kommen – gucken – fertig machen – drin“, sagt der Gelsenkirchener, der mit vollem Namen Manfred Burdina heißt. An diesem Tag im Herbst steht er in einem befriedeten Bezirk in Gelsenkirchen und bereitet sich darauf vor, seine Formel anzuwenden: Burdina und sein Kollege Fabian Gärtner wollen Kaninchen jagen. Nicht mit Hochsitz und Gewehr, sondern mit Frettchen und Reusen. Jäger haben für alles und jeden einen Fachbegriff, diese uralte Variante der Jagd nennen sie „frettieren“. Steht sogar im Duden.
Der Mensch mag Katzen lieber als stinkende Frettchen
Kaninchen wohnen in unterirdischen Bauen. Der Jäger hat ein Problem: Wie kriegt er sie da raus? Die Langohren ziehen sich bequem unter die Erde zurück und bleiben unten, da kann der Jäger sich auf den Kopf stellen. Der Iltis, mit Mühe halb so groß wie ein Karnickel, ist ihr natürlicher Feind: Er passt in die Baue und treibt deren Bewohner an die Oberfläche.
Das blöde an Iltissen: Sie beißen. „Frettchen sind Raubtiere, gezüchtet aus domestizierten Iltissen“, sagt Manni Burdina. Noch vor den Katzen machte sich der Mensch den Iltis untertan – aber dann mochte er doch die Katzen lieber. Weil Frettchen so furchtbar stinken.
Die drei namenlosen Fellwürste in der Transportbox – zwei Rüden, eine Fähe – stinken nicht. Sie wuseln umeinander herum und gucken gelassen-interessiert zum bellenden Hund Foster runter. „Aber wenn sie in die Ranz kommen, wird es unerträglich“, sagt Fabian Gärtner amüsiert.
Kaninchen buddeln Fundamente unter Gartenhütten weg
Die knopfäugigen Marderverwandten sind die Erfüllungsgehilfen der Karnickeljäger. Sie wuseln durch die weitverzweigten Labyrinthe und scheuchen die Kaninchen an die Oberfläche – direkt in die Lebendfalle vor dem Ausgang.
Es gab Zeiten, da waren Kaninchen eine wahre Plage. Sie durchlöcherten die Emscherdämme, fraßen Blumengestecke auf Friedhöfen und unterhöhlten Garagen. Tagesbruch, mal nicht vom Bergbau verursacht. Wem Kaninchen das Fundament unter der Gartenhütte wegbuddeln, der kann sich an Manni Burdina wenden. Wie ein Kammerjäger, „ich nehm nur kein Geld dafür“, sagt der Rentner.
Heute gibt es Karnickelplagen in Deutschland nur noch auf den Inseln. „Ich rotte die ja nicht aus, ich ess die; mehr Bio geht nicht“, sagt der 66-Jährige. Dafür sei Frettieren die ideale Jagdvariante. Wer mit Schrot auf Kaninchen schießt, muss später um seine Zähne fürchten, denn nicht alle Schrotkugeln werden beim Zubereiten gefunden und entfernt. „Klatsch beißte drauf, haste Plombe raus“, sagt Burdina.
Jagdhund Benny und die Frauen
Auf sechs Füßen, zwei Reifen und acht Pfoten schlendert die Jagdgemeinschaft ins Unterholz: Gärtner mit Hund Foster und Sohn Mads, der seinen Jägerhut mit vollem Stolz trägt und der seit er laufen kann am Wochenende mit Papa durch die Natur im Revier streift. Manni Burdina und Kurzhaarteckel Benny, ein erfahrener Jagdhund, der sich trotz seines hohen Alters grade mehr für läufige Hündinnen interessiert als dafür, ob ein Kaninchenbau bewohnt ist. „Ich sag' immer 'Benny, lass die Weiber zufrieden'“, sagt Burdina und schiebt sich die karierte Schiebermütze in den Nacken.
Benny wird nervös. Ein weißer Schwanz – in der Jägersprache die „Blume“ – hoppelt ins Dickicht. Mads schleppt eifrig die Gitterreusen heran, Gärtner und Burdina suchen den Boden nach Löchern ab. „Das wird 'ne Berufskrankheit“, sagt Fabian Gärtner. Wo er geht und steht, hält er nach Kaninchenbauen Ausschau. „Ganz wichtig ist“, sagt Manni Burdina und buddelt den Eingang auf, „dass alle Löcher mit den Reusen bestückt sind. Sonst springt das Kaninchen raus und ist weg.“ Er steckt die Falle in den Eingang, Mads wird immer eifriger. „In welches kommt das Frettchen?“ Gleich, Mads.
Künstlicher Kaninchenbau aus Drainagerohren
„Ich würd sagen, wir ham alles“, sagt Burdina mit der Gewissheit jahrelanger Erfahrung und zieht den Arm aus dem Loch. Mads bugisert das Frettchen in den Bau, ein paar Trippelschrittchen, dann ist es verschwunden. Jetzt heißt es wart... da ist es wieder. „Jetzt haben wir ein Frettchen gefangen“, sagt Mads. Ein verlassener Bau.
Die Truppe zieht weiter. Löcher suchen, Reusen davor oder Netze spannen; hoffen, keinen Ausgang übersehen zu haben, Frettchen rein, warten. Die Falle klappert, Benny wischt hoffnungsvoll mit dem Schwanz das Laub vom Waldboden – wieder das Frettchen.
Kann man die Tiere trainieren für die Jagd? „Entweder die hammet drin oder nich“, sagt Manni Burdina. Für den Fall, das sie's nicht so drin haben, hat der Gelsenkirchener seinen Frettchen zuhause einen künstlichen Kaninchenbau aus Drainagerohren gebaut. Man weiß ja nie.
Reusenkarren statt Gewehr im Anschlag
Fabian Gärtner kommt eigentlich aus Braunschweig und zog wegen der Kohle ins Ruhrgebiet. Nicht wegen der schwarzen. Und wie das so ist: blonde Frau kennengelernt, Häuschen, Kinder. Wenig Zeit, lange Fahrten zu guten Jagdgebieten. Im Revier gibt es keine Reviere und wenige Großwildtiere, der Mensch hat sich zu sehr breitgemacht. „Wie säh' das aus, wenn ich mit dem Gewehr hier rumliefe“, sagt auch Burdina. Also wurden sie Stadtjäger. Sie frettieren, wann immer sie Zeit haben, und wer mit einem Karren durch den Park zieht, sorgt weniger für Schrecken als jemand mit Flinte im Anschlag.
Warten. Das Rauschen der nahen A2 dringt durchs Blattwerk, ein Klinkerhochhaus leuchtet durch den Maschendrahtzaun. In Keilformation zieht ein Schwarm quäkender Vögel über das rot-gelb-grüne Ruhrgebiet. „Kanadagänse“, sagt Manni Burdina leise, zwirbelt die Schnauzbartspitzen und starrt weiter angestrengt zu Boden. Die Anspannung des Jägers. Selbst der unerfahrene Foster fiepst nur ab und zu leise. Plötzlich zockelt das Frettchen durch die Brennnesseln – Eingang übersehen. Reuse davor, wieder rein das Kerlchen.
Wenn der dicke Karnickelbock den Hintern reckt
Weiter Warten. Kein Frettchen, kein Kaninchen. „Hier muss was sein, sonst wär' der Hund nicht so interessiert gewesen“, Manni Burdina fängt an sich zu wundern. Er hat noch nie ein Frettchen verloren. Heute auch nicht: Mit Kaninchenhaaren an den Pfoten läuft es in die Falle. „Feindkontakt“, sagt Burdina und erklärt: Ein dicker, alter, erfahrener Karnickelbock dreht dem nahenden Frettchen einfach den Hintern zu und bewegt sich keinen Millimeter vom Fleck – das Frettchen kann nichts tun. Es kratzt und rupft – das Kaninchen bleibt stur und gewinnt. „Wie so oft“, sagt Fabian Gärtner.
Wieder von vorn. Wieder warten, wieder passiert nichts. „Kaninchen“, kräht Mads plötzlich und alle stürzen zur Reuse, in der zwei dicke Langohren hocken. „Wir machen Schluss“, beschließt Burdina und steckt die beiden Karnickel vorsichtig in einen Sack. Er hat noch so viele andere Stellen; Rasenflächen in Siedlungen, die die Langohren wie die Maulwürfe aufgewühlt haben zum Beispiel. Vielleicht geht Frettchen-Mannis Formel da besser auf.
Die Jagd auf Kaninchen mit Frettchen
Hintergrund: Von Jäger und Beute
„Es gibt Kaninchen zum Essen und es gibt Kaninchen zum Streicheln“, sagt Fabian Gärtner. Jäger und Vegetarier, deren Meinungen gegensätzlicher nicht sein könnten, seien in einem Punkt gar nicht so weit auseinander: Sie wüssten um den Akt des Tötens; die einen akzeptieren ihn, die anderen eben nicht.
„Hauptsache-Billig-Fleischesser haben oft keine Ahnung, wo ihr Schnitzel herkommt; dass dafür ein Tier gestorben ist“, so der 40-Jährige. Er habe eine Beziehung zur Art, nicht zum Individuum. „Ich mag auch Füchse, das sind meine Lieblingstiere“, sagt Gärtner, „aber ich bejag die auch.“
Zu Burdinas und Gärtners Jagdrevieren gehören befriedete Gebiete – Parks, Friedhöfe, Sportplätzeim Großraum Gelsenkirchen.