Gelsenkirchen. „Gelsenkirchen packt an: Warm durch die Nacht“: Nach Essener Vorbild ziehen seit Dezember 2014 auch in GE engagierte Menschen durch die City, um zu helfen.
18.30 Uhr, hinter den Rolltoren neben der Sparkassen-Filiale am Bahnhofscenter: Bei Schalke-Heimspielen steppt hier der vorfreudige Bär zu Pommes, Currywurst und Bier. Jetzt herrscht gähnende Leere. Fast ... In der Abstellkammer links vor der Herren-Toilette, da packen drei Frauen den Bollerwagen.
Wie jeden Abend: Fünf-Minuten-Terrine, Fisch, Löffel, Gabeln, Plastikbecher, Bananen, Äpfel, ein paar Süßigkeiten, Mülltüten, Papiertaschentücher, Instantkaffee, Teebeutel werden neben den großen Thermo-Heißwasserspender gepackt.
Auf den Warrnwesten steht in dicken Lettern „Warm durch die Nacht“
In den Regalen steht Nachschub bereit, ganz oben in den Fächern lagern Jacken. Es ist viel zu eng, aber die Frauen sind froh, diesen Raum überhaupt zu haben. „Der Schalker Fan-Club-Verband hat uns geholfen. Wir sind hier für lau“, erzählt Bianca Wollbrink, während sie die letzte Kanne kochend heißen Wassers umfüllt.
„Wenn Eileen mit den Brötchen kommt, gehts los“, sagt Petra Bec und streift sich schon mal die blaue Warnweste verkehrt herum über. „Warm durch die Nacht“ steht in dicken, weißen Lettern drauf. Eileen Leitz klopft pünktlich, kommt mit Hund Abby und zwei Riesentüten Brötchen in den tristen Wirtschaftstunnel. Und raus geht’s in den ungemütlichen Abend mit einstelligen Temperaturen und fiesem Dauernieselregen. Egal: GE packt an!
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Warm durch die Nacht, der Slogan steht für ehrenamtliche Obdachlosenhilfe. Zwölf Leute, überwiegend Frauen, gehören inzwischen zu der aktiven Facebook-Gemeinschaft, die völlig unprätentiös in ihrer Freizeit durch die frühabendliche Innenstadt ziehen. Beim ersten Mal von ihren Adressaten noch distanziert beäugt – heute nicht mehr weg zu denken. Es sind nicht nur Menschen ohne feste Bleibe, es sind Leute am Rande der Gesellschaft. Abgestürzt durch Arbeitslosigkeit, familiäre Probleme, Krankheit, Überschuldung ...
Bianca Wollbrink (42, Arbeitsvermittlerin), Petra Bec (53, Altenpflegeassistentin) und Kathrin Viafora (36, OGS-Mitarbeiterin) sind heute im Einsatz. „Wir versuchen, fünf Tage die Woche hier zu sein, zum Monatsende aber auf jeden Fall“, erzählt Petra Bec, während ihre Augen die Gesichter der Passanten absuchen. Bei diesem Wetter sind kaum Freunde der Straße zu sehen. Später werden die Frauen sie am Bahnhof treffen, unter einem schützenden Dach.
Ein offenes Ohr gehört immer dazu
„Die Menschen haben alle eine Geschichte, zum Teil eine hammerharte“, erzählt Petra Bec. Eine dieser Geschichten ist ihr sehr nah gegangen. Sie hatte am Bollerwagen einen Drogenabhängigen kennen gelernt, ihn bei seinem Klinik-Entzug unterstützt, geglaubt, er schaffe es. „Wir haben ihn an Heroin verloren.“ Mit Kerze und Gitarrenmusik setzten sich Helferinnen und Leute von der Straße zusammen zum Gedenken an den toten Freund.
Das offene Ohr ist neben Suppe, Kaffee und Tee unverzichtbar. Wenn etwa einer erzählt, er brauche dringend eine Matratze, weil seine alte kaputt ist, dann wird mal eben auf Facebook gepostet, ob wer helfen kann. „Da wird das soziale Netzwerk wirklich sozial“, lacht Bianca Wollbrink, dreht sich um und begrüßt herzlich einen Neuankömmling. „Hey, wie geht’s Dir heute?“
„Die Leute opfern ihre Freizeit für uns“
Birgit (Name geändert) löffelt ihre heiße Instant-Suppe. Zwischen zwei Happen formuliert sie ihre Wertschätzung gegenüber den Frauen von „Warm durch die Nacht“: „Das ist eine gute Sache. Das sind Leute, die opfern ihre Freizeit für uns und helfen immer. Ich hab auch schon zwei Hosen bekommen.“
Neben ihr steht ein Mann aus Rumänien, den Schlafsack für die Nacht neben sich auf dem Boden. Er wünscht sich nichts mehr, als eine „Arbeit mit Papieren“. Seit einem Jahr und vier Monaten ist der gelernte Elektriker in Deutschland, hat bei der Caritas eine Postadresse – beileibe kein Einzelfall – und böse Erfahrungen mit einem Arbeitgeber, der ihn aussgebeutet und nach drei Monaten rausgeschmissen hat. Er erzählt, im Sommer schlafe er im Stadtgarten. Jetzt auf dem Parkplatz beim Media-Markt. „Die Polizei sagt nichts, nur, dass der Platz sauber bleiben muss.“ Am Bahnhof sei es nachts nicht so angenehm. „Viel Durchzug“, sagt er.
Immer mehr kommen zum Taxi-Unterstand, wo Bianca Wollbrink, Petra Bec und Kathrin Viafora den Bollerwagen erleichtern. Verteilen müssen sie übrigens immer draußen. Vorschrift. Und, nur um Gerüchten entgegenzutreten: Alkohol und Zigaretten gibt es bei „Warm durch die Nacht“ ausdrücklich nicht. Die zehn Frauen und zwei Männer, die ihren Dienst am Nächsten untereinander absprechen, schreiben sich auf die Fahnen, den Menschen von der Straße immer auf Augenhöhe zu begegnen.
Was der Initiativgruppe zu ihrem Glück noch fehlt? Ein neuer, größerer Lagerraum! Dann könnte etwa Petra Bec die gespendete Kleidung, die sich inzwischen in ihrer Wohnung stapelt, besser lagern. Für die Freunde vom Rande der Gesellschaft, deren Lebenskarriere gerade auf dem Tiefpunkt ist. Was häufig der Grund dafür ist, dass mögliche Hilfen gar nicht in Anspruch genommen werden.
Wer helfen möchte, kann sich hier melden
Es sei denn, die beherzten Helferinnen und Helfer mit Bollerwagen nehmen sie im Einzelfall an die Hand und leisten Anschubhilfe auf dem Weg aus der Krise.„Gelsenkirchen packt an! – Warm durch die Nacht“ ist hauptsächlich eine Facebook-Gruppe. Aktuell arbeiten die Ehrenamtlichen an einer Homepage, die dann im Internet unter www.gepa-wddn.ruhr zu finden sein wird. Ansprechpartnerinnen von „Warm durch die Nacht“ sind Bianca Wollbrink (Mail: Bianca.Wollbrink@gepa-wddn.de), Petra Bec (Petra.Bec@gepa-wddn.de) und Tina Krone (Tina_Krone@gmx.de).
Geldspenden darf die Gruppe als Zusammenschluss von Privatleuten nicht annehmen. Sachspenden sind dagegen jederzeit willkommen, zumal der echte Winter noch bevorsteht. Einen Herzenswunsch der Gruppe kann eigentlich nur ein Sachspender mit anderen finanziellen Möglichkeiten erfüllen, als sie die Facebook-Gruppe hat: eine Großkaffeemaschine und große Thermobehälter für unterwegs.