Gelsenkirchen. Bei einer Führung lernen gut 20 Besucher die jüdischen Begräbnis-Traditionen kennen. Judith Neuwald-Tasbach erklärt, warum Hände auf Steinen sind und was es mit dem Grab ohne Buchstaben auf sich hat.
Aus dem lila Stoffbeutel holt Judith Neuwald-Tasbach schwarze Kopfbedeckungen für die Männer heraus. Die sind bei der Führung über den alten jüdischen Friedhof in Bulmke Pflicht. Unscheinbar sieht die Mauer mit dem grauen Tor an der Oskarstraße aus. Mit einem kleinen Schlüssel öffnet die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde das Vorhängeschloss. Klack. Sie schiebt den Riegel zurück.
Etwa 20 Besucher betreten am Dienstagabend vorsichtig das abgezäunte Gelände. Schauen mal links, mal rechts. Efeu und Moos ranken über die Grabsteine und den Boden. Die hohen Bäume rauschen im Wind. Eine Schnecke verkriecht sich unter einem feuchten Blatt.
Kieselsteine als Erinnerungszeichen
Gleich in der ersten Reihe ist ein Grabstein besonders schön gestaltet. „Das war ein Hohepriester, auf hebräisch ein Kohen“, erklärt Judith Neuwald-Tasbach. Hohe Positionen in der Gemeinde könne man am Namen und an der Gestaltung der Grabsteine erkennen. Während die Leviten häufig Ölkännchen als Bilder haben, sind es bei den Hohepriestern Bilder von Händen, die den Segensgruß zeigen.
Wenige Schritte weiter zeugen auf einem schwarzen, moosigen Stein nur noch einige Löcher von den metallenen Buchstaben, die einst dort waren. „Die wurden abmontiert. Wahrscheinlich haben die Nazis Patronenhülsen daraus gemacht“, sagt Judith Neuwald-Tasbach. Auf der Straße neben dem Friedhof fährt laut knatternd ein Motorrad vorbei. In einer Firma wird laut gebohrt. Die Gruppe rückt enger zusammen.
Ein einzelner schwarzer Kieselstein liegt auf einem anderen Grabstein. Wer als Jude einen Verstobenen auf dem Friedhof besucht, hinterlässt solche Steine als Zeichen der Erinnerung. Am neuen Ückendorfer Friedhof hat diese Tradition bereits für Verwirrung gesorgt. So habe ein neuer Friedhofsgärtner stolz erzählt, dass er endlich den ganzen Dreck von den Kinder weggemacht hätte. „Dabei waren das waren Kieselsteine von Besuchen aus mehreren Jahrzehnten.“
Hebräische Segenswünsche auf den Grabsteinen
Weiter hinten liegt ein anderthalbjähriger Junge zu den Füßen seiner Großeltern begraben - dieser Platz bleibt für immer. „Bei uns wird nicht eingeebnet. Wir glauben, dass den Menschen der letzte Platz für immer gehören soll. Zumindest bis zu seiner Auferstehung“, sagt Neuwald-Tasbach. Auf hebräisch stehen Segenswünsche auf dem Stein. Neben dem deutschen Namen findet sich auf den meisten Gräbern auch der jüdische.
„Da muss ich fast 50 Jahre warten, um einmal auf den Friedhof zu kommen. Das ist echt interessant“, sagt eine Besucherin. Schon als Jugendliche habe sie das Gelände fasziniert. „Man durfte ja nicht drauf.“ Die Jungs seien damals einfach über die Mauer geklettert. „Mich haben die zurückgelassen“, sagt die 49-Jährige. „Wahrscheinlich besser so. Als Jugendliche hätten wir sowieso nur Schabernack gemacht.“