Gelsenkirchen. Mauerreste, Scherben, Rosenkranzperlen und Knochen aus 60 Gräbern: Rund 150 archäologische Befunde vom Heinrich-König-Platz werden jetzt von den Experten dokumentiert

Sie sorgten im Mai für Stadtspaziergänge mit leichtem Gruselfaktor: Archäologen der Firma Unearth aus Münster legten vor der Evangelischen Altstadtkirche historische Gräber frei – beobachtet von zahllosen Zaungästen. Der Ausblick auf freigelegte Schädel und Skelette lieferte Gesprächsstoff an der Baustelle Heinrich-König-Platz. Und nachhaltig Arbeit für Spezialisten.

150 archäologische Befunde wurden aufgenommen. Mauerreste, Straßenpflaster, davon eines aus dem Spätmittelalter. Aber auch, wohl Grabbeigaben, einige Rosenkranzperlen aus Glas, zudem zahlreiche Keramik-Funde. „Sie müssen gereinigt und beschriftet werden“, so Grabungsleiter Dr. Jan Markus.

Scherben von Tellern und Töpfen wurden ausgegraben, vor Jahrhunderten kaputt gegangen und entsorgt, verbuddelt mit den schmalen Särgen. „Das ist alles Gebrauchsgeschirr aus diversen Zeitstellungen“, so Markus. „Teilweise sind es Rheinische Erzeugnisse. Darunter war aber nichts Vollständiges, was auch normal ist für diese Eingriffstiefe.“ Sprich: Tiefer im Untergrund könnten durchaus noch andere Funde schlummern. Aber für die Stadt und den Landschaftsverband Westfalen Lippe (LWL) mussten die beauftragten Experten im Zuge des Umbaus am Heinrich-König-Platz quasi nur an der Oberfläche kratzen, um zu dokumentieren welche historischen Reste direkt unter dem Platz verborgen liegen.

Etwa 60 Gräber wurden im Kirchenumfeld freigelegt

„Die Dokumentation wird noch mindestens ein bis zwei Wochen dauern“, sagt Unearth-Archäologe Markus. Etwa 60 Gräber wurden im Kirchenumfeld freigelegt. „Mittelalterliche und auch neuzeitliche“. Wobei neuzeitlich bedeutet: Beigesetzt wurden diese Toten ab dem 15. Jahrhundert. „Sie liegen alle vor dem Zugang der Kirche von 1880“, so Markus. „Aber wir sprechen natürlich noch immer über Jahrhunderte-alte Funde. Spannend ist ja, dass man in eine Zeit zurückblickt, die man sonst mit Gelsenkirchen nicht verbindet.“

Die Industrie-Großstadt hat eben auch eine sehr dörfliche, nachweislich fast 1000-jährige Vorgeschichte. 1085 findet hier der erste Geistliche Erwähnung.

Um-, Aus- und Neubauten im alten Kirchspiel haben drastische Spuren hinterlassen auf dem einstigen Gottesacker rund um die früheren Kirchbauten. Mitten in alte Gräber wurden einst Fundamente gesetzt, die Skelette zerstört. Die Funde landen nun zunächst im LWL-Magazin, die Knochen werden in Absprache mit den beiden Kirchen kremiert und beigesetzt.

Eine weitergehende Untersuchung war laut Markus weder angedacht noch angebracht: „Wir haben lediglich fünf annähernd vollständige Skelette freigelegt. Das sind keine aussagefähigen Zahlen. Zudem haben sich viele Bestandteile, einmal an der Luft, schnell aufgelöst.“