Gelsenkirchen. . Mitte 2012 hoben Bündnispartner in Gelsenkirchen den Appell als Projekt aus der Taufe. Sozialpfarrer Dieter Heisig schildert seine Sicht zum aktuellen Stand des Projekts in einem Gastbeitrag.
Vom Appell zum Modell – das wäre doch ein guter Vorsatz für uns Gelsenkirchener im neuen Jahr. Denn der Appell alleine bringt keinem Menschen in unserer Stadt, der lange arbeitslos ist, eine Verbesserung. Und in der Tat: es geht ja um mehr als das, was viele Betroffene schon kennen: wieder mal eine Maßnahme, ein Bewerbungstraining oder eben eine Aktivität, die zwar eine Beschäftigung von Mitarbeitenden bei Trägern sichert, die aber niemandem, dem schon so lange die Würde verweigert wird, diese zurück bringt. Denn einer bezahlten Arbeit nachzugehen, bedeutet in unserer derzeitigen Gesellschaft ja weitaus mehr als nur Geld zur Verfügung zu haben.
Aber das, was bisher veröffentlicht und von der Bundesregierung angeboten wurde, klingt eher nach Behindertenpolitik. Eine solche ist an ihrer Stelle geboten; sie darf aber nicht mit Beschäftigungspolitik gleichgesetzt werden. Aber genau in solche Denkfiguren gerät man, beim Blick auf das Angebot.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Da gibt es alten Wein in neuen Schläuchen, wenn davon die Rede ist, dass dieses oder jenes an Fortbildung die Chancen für arbeitslose Menschen erhöhe. Wenn von Begleitung die Rede ist, von einem Einüben geregelter Tagesstrukturen, von Drogen- und anderen Beratungsangeboten. Das alles zusammengenommen liest sich so, als seien alle 14 000 arbeitslose Menschen in Gelsenkirchen ( SGB II ) behindert, suchtabhängig oder schlicht zu ungebildet, um einen Arbeitsplatz erhalten zu können.
Tausend Arbeitsplätze schaffen
Der Gelsenkirchener Appell richtet sich an Bund und Land und hat den Aufbau eines sozial ausgerichteten Arbeitsmarktes für dauerhaft nicht vermittelbare Arbeitslose zusammen mit den örtlichen Akteuren zum Ziel.
Bis zu 1000 zusätzliche und sozial ausgerichtete Arbeitsplätze in Abhängigkeit von Förderbedingungen des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen sollen geschaffen werden. Finanzierungsbeiträge können aus dem Eingliederungstitel SGB II des Integrationscenters für Arbeit kommen. Auch könnten eingesparte kommunale Mittel für Kosten der Unterkunft und eingesparte Bundesmittel für Arbeitslosengeld II eingebracht werden. Eine Aufstockung ist aber notwendig.
Der Appell, den Mitte 2012 verschiedene Sozialpartner, Organisationen und Ratsfraktionen unterschrieben, soll helfen, Wege und Mittel zu finden, das Vorhaben zu verwirklichen. Wichtig ist den Beteiligten lokalen Partnern, dass eine Vorrangigkeit des Ersten Arbeitsmarktes gegenüber öffentlich geförderter Beschäftigung gesichert sein muss.
Damit wir uns nicht missverstehen: auch bei Langzeitarbeitslosen gilt, dass jeder da abgeholt werden muss, wo er oder sie steht; so sollte zum Beispiel einem Süchtigen eine spezielle Hilfestellung angeboten werden. Das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit aber ist im Ruhrgebiet und in Gelsenkirchen in besonderem Maße ein Strukturproblem. Denn wer weiß, wie die Relation zwischen der Zahl der Arbeitslosen und den freien Stellen in unserer Stadt aussieht, der weiß sofort, was zum Entstehen des „Gelsenkirchener Appell“ führte.
Das Strukturproblem ist ein Skandal
Nicht individuelle Defizite, sondern dieses Strukturproblem hat sich zum Skandal entwickelt, dass 14 000 Menschen außen vor bleiben müssen. Das Ärgerliche an den „neuen Maßnahmen“ aus Berlin ist, dass die nichts anderes sind als eine Fortschreibung der „klassischen Maßnahmen“. Hier entsteht der Eindruck, dass nicht verstanden wurde, dass es sich um das Problem verweigerter Gerechtigkeit handelt und nicht „nur“ um eine Frage von Weiterbildung und Beratung. Das Angebot bleibt weit hinter dem zurück, was der Gelsenkirchener Appell verdeutlichte und einforderte.
Erste Veranstaltung am 4. Februar in der „flora“
Um den guten Vorsatz in diesem Jahr verwirklichen zu können, lädt die Projektinitiative „Steinbruch Demokratie“ und das „Ev. Industrie- und Sozialpfarramt“ alle, die daran interessiert sind, dazu ein, aus dem Appell ein Modell zu gestalten.
Eine erste Veranstaltung findet am Mittwoch, 4. Februar, um 19 Uhr in der „flora“ statt.
Menschen brauchen eine sinnvolle und auskömmlich bezahlte Arbeit, keine zeitlich begrenzten Maßnahmen; sie brauchen eine erfüllende Tätigkeit und keine Beschäftigung, die „zusätzlich“ ist. Sie erwarten zu Recht, dass sich ihre Arbeit im Alter auszahlt – das verbietet den Verzicht auf sozialversicherungsrechtliche Strukturen.
Gemeinsam Problemlösungen entwickeln
Wenn die Problemlage in anderen Teilen der Republik anders aussieht: um so besser. Aber für unsere Stadt sind die Fragen von 14 000 Menschen eben nicht erledigt mit dem Verweis auf Statistiken und Prognosen. Sie erwarten zu Recht das Ende ihrer Ausgrenzung.
Und wenn es noch keine entwickelten Ideen für wirkliche Problemlösungen gibt, dann müssen wir eben gemeinsam ran. Es gibt Menschen guten Willens in Gelsenkirchen; es gibt Experten in allen Organisationen, die den Appell mit unterzeichnet haben. Und schließlich wurde durch ihn die Gemeinsamkeit wichtiger Gruppen in hervorragender Weise deutlich: deshalb sollten wir in dieser Gemeinsamkeit in 2015 mutig voran gehen, damit es nicht beim Appell bleibt, sondern wir zusammen unser Recht zur Finanzierung und Ausgestaltung eines Gelsenkirchener Modells einfordern.