Gelsenkirchen. . Einen Tag nach dem tödlichen Polizeieinsatz in Gelsenkirchen erzählen Augenzeugen von ihren Erlebnissen an Neujahr. Der Täter soll nicht geflohen sein, sondern langsam das Haus verlassen haben.

Ruhe ist in der Jakobstraße nicht eingekehrt, erst recht nicht, nachdem der Täter am Dienstag im Krankenhaus gestorben ist. Zeugen erzählen nun von ihren Erlebnissen an Neujahr. Den Faustschlag des Polizisten, mit dem er sich gegen den Angreifer wehrte, hat aber keiner von ihnen gesehen. Der polizeibekannte Täter hatte angeblich zuvor eine 57-jährige Frau geschlagen. Als sie die Polizei alarmierte, soll er Feuer in der Wohnung entfacht haben.

So sagt etwa die 59-jährige Elke Steinhauer: „Die Polizei war sehr aggressiv. Der Mann muss mehr als einen Faustschlag bekommen haben. Er hat geblutet wie Sau. Er lag direkt gegenüber meiner Wohnung auf dem Bürgersteig vor Haus 13. Er war bewusstlos und mit Handschellen gefesselt. Mehr als zehn Minuten lag er da so in der Kälte, ohne Decke, ohne irgendwas. Als der Rettungswagen dann kam und eine Sanitäterin bei dem Mann war, hatte sie einen Defibrillator in der Hand.“

Elke Steinhauer (59) beobachtete den Polizeieinsatz.
Elke Steinhauer (59) beobachtete den Polizeieinsatz. © FUNKE Foto Services

Täter sei nicht geflüchtet

Eine zweite Anwohnerin, die anonym bleiben möchte, berichtet: „Der Mann kam langsam aus Haus neun heraus, er ist nicht geflüchtet. Er bewegte sich wie ein Zombie, als ob er unter Alkohol oder Drogen gestanden hätte. Vier Polizisten sind hinter ihm her. Der Mann wurde von hinten umgerissen, gefesselt und dann liegen gelassen – weit mehr als zehn Minuten lang. Und auf dem Bürgersteig war eine große Blutlache, das Gesicht und der Kopf des Mannes waren blutüberströmt.“

Nachbarin Beatrix Euskirchen: „Die Polizei hat mir mit meinen zwei kleinen Töchtern den Zugang zum Haus verwehrt (14 Monate, 2,5 Jahre). Ich wohne direkt nebenan im Haus Nummer sieben. Die Kinder haben bitter gefroren. Das könnte vielleicht so gegen 16 Uhr gewesen sein, genau weiß ich es nicht mehr, aber da hatte es schon gebrannt. Den blutenden Mann habe ich liegen sehen. Unterschlupf habe ich dann mit den Kleinen im türkischen Café auf der Bismarckstraße gefunden.“

Euskirchens Freund Waldemar Szafarczyk war sogar im Brandhaus als freiwilliger Helfer im Einsatz. Er schilderte das Erlebte so: „Als es brannte und die Polizei kam, habe ich einen der Beamten gefragt, was ich tun kann. Meine Freundin und ich wohnen ja in Haus Nummer sieben. Darauf habe ich nebenan mitgeholfen, die Bewohner in Sicherheit zu bringen. Einen älteren kranken Mann, Helmut heißt er, habe ich nach draußen gebracht. Es ging ja darum, dass kein Mensch im Feuer umkommt.“

An den Fenstern von Haus neun an der Jakobstraße sind noch die Brandspuren zu sehen.
An den Fenstern von Haus neun an der Jakobstraße sind noch die Brandspuren zu sehen. © FUNKE Foto Services

Der Schlag zur Abwehr „war legitim“

Matthias Büscher (46), Kriminalhauptkommissar, stellvertretender Kreisgruppenvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei und Personalratsvorsitzender der Polizei GE kennt den Einsatz und äußert sich dazu so: „Es war aus meiner Sicht kein tödlicher Faustschlag. Wir sind als Polizisten ja keine ausgebildeten Boxer, deren Schläge unter Umständen tödlich sein können. Und zu den Polizisten: Ich kenne sie alle, auch den, der den Schlag ausgeführt hat. Er ist geschockt. Alle vier sind keine Anfänger gewesen, sie bringen es auf acht bis 15 Jahre Erfahrung im Dienst, es sind keine Draufgänger.“

Büscher hält den Schlag ins Gesicht „für legitim, für eine normale Abwehrreaktion“. Und er sagt weiter: „Es gab eine enorme Stresslage. Die angegriffene Frau hat in Sicherheit, der Angreifer überwältigt und ruhiggestellt sowie die Nachbarn aus der Gefahrenzone gebracht werden müssen. Und das alles ganz ganz schnell.“

Polizisten stehen laut Büscher mehrere Zwangsmittel zur Verfügung. Ihre Anwendung, egal welcher Art, werden in der Regel angekündigt. Das Spektrum reicht von Blendschlägen, das sind Fauststöße, um Gegner auf Distanz zu halten, bis zum Einsatz von Pfefferspray, Schlagstock und in Notwehr und bei Lebensgefahr der Schusswaffe. Dabei wird der Gegner so getroffen, dass er in der Regel kampfunfähig ist – etwa per Beinschuss.