Gelsenkirchen. Acht ehemalige Saint-Gobain-Mitarbeiter klagen auf höhere Abfindungen. Ein früherer Kollege hatte vor dem Landesarbeitsgericht bereits Erfolg.
Längst ist die industrielle Epoche des Schalker Vereins Geschichte. Als sich im September 2013 die Tore endgültig schlossen, waren beim Nachfolgeunternehmen Saint Gobain noch elf Mitarbeiter mit der Abwicklung des einstigen Rohr-Produzenten beschäftigt. Auch wenn sich in der Zwischenzeit mittlerweile neue Betriebe auf dem Gelände in Bulmke angesiedelt haben, ist das Kapitel für acht frühere Mitarbeiter noch nicht abgeschlossen. Sie klagen auf die Zahlung höherer Abfindungen, die ihnen ihr Arbeitgeber ihrer Meinung nach vorenthalten habe.
Mit sieben der acht Klagen muss sich die 2. Kammer des Arbeitsgerichts beschäftigen. Die Materie ist kompliziert. Vier Kläger hatten 2010 und drei im Jahr 2013 Aufhebungsverträge unterschrieben und sich eigentlich mit ihren bisher erhaltenen Abfindungsleistungen abgefunden.
Erst durch die erfolgreiche Klage ihres ehemaligen Kollegen Achim Wagner wurde ihnen bewusst, dass ihnen eine höhere Abfindung zugestanden hätte. Bei Wagner vervierfachte sich der Betrag auf über 100.000 Euro. Beim Urteil durch das Landesarbeitsgericht in Hamm im letzten Jahr spielten Protokollnotizen aus den Jahren 2010 und 2012 eine wesentliche Rolle. Mit den Notizen hatten sich Teile des Sozialplans aus dem Jahr 2004 und damit auch die Höhe der Abfindung zu Ungunsten der Kläger geändert. Doch den Protokollnotizen lag nach Feststellung der Hammer Richter kein Betriebsratsbeschluss zugrunde. Der damalige Betriebsratsvorsitzende und der Saint-Gobain-Personaldirektor hatten das Schriftstück nach einem Vieraugen-Gespräch im Alleingang unterschrieben und als vertraulich deklariert. Vertraulich und Betriebsvereinbarung, so meinte die Kammer-Vorsitzende, das seien zwei Begriffe, die sich widersprächen.
Protokoll gutgläubig unterschrieben
Im Regelfall können höhere Ansprüche nur innerhalb von vier Wochen nach dem Ausscheiden geltend gemacht werden, es sei denn, der Arbeitgeber hat unerlaubt gehandelt. In diesem Fall würde die Ausschlussfrist nicht wirksam. Das Gericht hat zu klären, ob dem Arbeitgeber bewusst war, dass die Protokollnotizen ohne Beschluss des gesamten Betriebsrates erfolgten. Als Zeugen in Hamm hatten ehemalige Betriebsratsmitglieder erklärt, erstmals vor Gericht von den Inhalten der Protokollnotizen erfahren zu haben.
Das Gericht muss bei seiner Urteilsfindung auch versuchen, einen Widerspruch aufzuklären. Lange nach Schließung des Werks hatte im Mai 2014 noch eine Betriebsratssitzung mit drei Mitgliedern stattgefunden. Im Protokoll ist zu lesen, dass einer der Teilnehmer, der heute auch zu den Klägern zählt, von der Protokollnotiz gewusst habe. Er habe zwar ein mulmiges Gefühl gehabt, aber gutgläubig das Sitzungsprotokoll unterschrieben, rechtfertigte er sich vor Gericht. Maria Gomez Garcia, DGB-Prozessbevollmächtigte, brachte hilfsweise einen möglichen Schadensersatzanspruch ihrer Mandanten ins Gespräch: „Eine Betriebsvereinbarung, die den Sozialplan aus dem Jahr 2004 ändert, gibt es nicht. Er hat damit immer noch Gültigkeit.“ Es sei fraglich, dass sich der Arbeitgeber auf eine Verfallfrist berufen könne. Saint Gobain-Rechtsvertreter Dr. Thomas Petzoldt ist überzeugt, dass dem Arbeitgeber kein Fehler unterlaufen sei. Er habe die Betriebsvereinbarung unterschrieben, die Form eingehalten. Und Anspruch auf ein Protokoll der Betriebsratssitzung habe er nicht. Das Gericht will am 16. Januar entscheiden.