Gelsenkirchen. Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) bilanziert im WAZ-Interview das vergangene Jahr und nennt die wichtigsten Vorhaben für 2015.

Das Thema Cross-Border-Leasing holt Gelsenkirchen in diesen Tagen wieder ein. Dabei steht für Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD, 52) etwa als eine zentrale Frage im Raum: „Was geschieht mit dem Rathaus Buer? Wie gehen wir mit dem Gebäude um?“

Experten der Verwaltung arbeiten sich in diesen Tagen und Wochen in die üppigen, mehrere hundert Seiten starken Vertragsunterlagen ein, die aus dem Jahr 2002 stammen, um in wichtigen Details keine Fehler zu machen.

In diesem Zusammenhang hatte die WAZ als Ergebnis einer Recherche veröffentlicht, dass neben dem Buerschen Rathaus die Gebäude aller weiterführenden Schulen zum Geschäft mit den US-Investoren gehörten. Umfassende Auflagen, wie die sicher zu stellende Nutzungsfähigkeit, müssen auch bei diesen Immobilien beachtet werden, um keinen Vertragsbruch zu begehen.

Strukturwandel auf dem Stand von 1.0

Frank Baranowski: „In diesem Zusammenhang taucht etwa die spannende Frage auf, was mit den Immobilien geschieht, die angesichts der Schülerentwicklungszahlen auf Sicht nicht benötigt, aber nutzbar gehalten werden müssen.“

Im Bilanz-Interview mit der WAZ geht der 52-jährige Sozialdemokrat auf Themen wie die schwierige finanzielle Situation der Stadt ein, oder dass Gelsenkirchen sich im Bereich des Strukturwandels gemeinsam mit der nördlichen Zone des Ruhrgebietes eher auf dem Stand 1.0 befindet, während der OB den der Hellwegzone vergleichsweise auf 3.0 taxiert.

Für Baranowski persönlich gab es am 25. Mai 2014 einen herausragenden Tag, als über 67 Prozent der Gelsenkirchener Wählerinnen und Wähler ihn im Amt bestätigten. Freut ihn dieses Resultat, fällt seine Bewertung der Ratszusammensetzung kritisch aus: „Vielfalt ist gut – und der Rat soll auch bunt sein. Mit Blick auf die Stärkung des rechten Randes kann ich das Ergebnis aber nicht gutheißen.“

"Wir haben trotz Gegenwind unseren Kurs gehalten"

Herr Oberbürgermeister, wie bewerten Sie persönlich das vergangene Jahr für Gelsenkirchen?

Frank Baranowski: Ich möchte dazu das Bild einer Schiffsreise benutzen. Wir haben trotz Gegenwind die Etappenziele erreicht und unseren Kurs gehalten.

Was meinen Sie mit Gegenwind?

Baranowski: Dazu gehörte sicherlich der nicht vorherzusehende Pfingststurm Ela, der über die Stadt hinwegfegte und viel zerstört hat. Die Aufräumarbeiten sind ja noch nicht ganz abgeschlossen, obwohl wir alles tun, was wir können. Dazu gehören aber auch überregionale Entscheidungen, die unseren Kurs beeinträchtigen.

Die da wären?

Baranowski: Unsere Finanzsituation vor allem. Die Höhe der Erlöse aus der Gewerbesteuer ist für uns kaum planbar. Die Energiewende verlangt gerade den Industrie-Unternehmen in unserer Stadt viel ab. Was etwa aus dem Kraftwerkstandort Eon wird angesichts der Umstrukturierungen, die vorgenommen werden, wissen wir nicht. Dazu kommen zum einen die wachsenden Aufwendungen für Zuwanderung und die Flüchtlinge und zum anderen die stetig steigenden Kosten im Bereich der Sozialausgaben.

Das sind keine hausgemachten Probleme. Da reichen die Mittel von Land und Bund längst nicht aus, um die Kosten für die Anforderungen zu decken. Sehen Sie Anzeichen für eine Besserung dieser Situation?

Baranowski: Dass wir in die Haushaltssanierungsplanung Teile der Mittel, die aus Berlin für das Bundesteilhabegesetz und die Kosten für Unterkünfte vorgesehen sind, einplanen können, hilft schon weiter. Dafür haben wir hart und engagiert gekämpft. Es reicht aber bei Weitem nicht aus, da muss noch mehr kommen. Auch um im Jahr 2018 angesichts des Stärkungspaktes Stadtfinanzen mit der Hilfe des Landes einen ausgeglichenen Haushalt hinzubekommen.

In anderen Städten werden sogenannte „Giftlisten“ gehandelt.

Baranowski: Ja, von diesen Streichlisten höre ich auch immer wieder, aber ich halte nichts davon. Woanders verschwinden sie dann wieder in den Schubladen. Wir wollen ohne Drohgebärden mit guten Lösungen die Angebote der Stadt erhalten. Das ist unser Ziel.

Bildungsprojekt in Gelsenkirchen greift gut 

Womit wir zur Schiffsreise zurückkehren. Welche Etappenziele hat Gelsenkirchen aus Ihrer Sicht noch erreicht?

Baranowski: Unser Bildungsprojekt „Kein Kind zurücklassen“ greift weiterhin gut. Wir haben sechs neue Kindergärten gebaut und das Familienbüro an der Ahstraße eröffnet. Außerdem entwickeln wir die Gewerbeflächen weiter.

Wie bewerten Sie den momentanen Stand?

Baranowski: Auf Graf Bismarck gibt es die ersten Ansiedlungen, das müssen wir weiter forcieren. Auf dem Gebiet Chemische Schalke konnten wir die erste große Gewerbeansiedlung verkünden. Im ersten Abschnitt hat der Investor uns dort 200 neue Arbeitsplätze versprochen.

Das ist sicherlich ein Erfolg. Aber braucht Gelsenkirchen hier nicht mal ein echtes Ausrufezeichen, das die Stadt über ihre Grenzen hinaus in aller Munde bringt?

Baranowski: Die Ansiedlung auf der Fläche der Chemischen Schalke ist schon ein Ausrufezeichen, das auch in der Nachbarschaft für Aufsehen gesorgt hat. Die Sparkassen-Akademie hätte auch ein solches sein können. Wir hatten unsere Hausaufgaben gemacht. Wenn dann beispielsweise aber ein ICE-Anschluss zu einem wichtigen Entscheidungskriterium gemacht wird, dann wird die gesamte Emscher-Lippe-Region ausgeschlossen, so dass das Projekt in die Hellweg-Zone geht. Wie es anders geht hat die Ansiedlung von Straßen-NRW gezeigt. Das war damals eine bewusste politische Entscheidung, mit dieser Landeseinrichtung in unsere Stadt zu gehen.

Wenn das ein Etappenziel ist, das Gelsenkirchen auf seiner Reise nicht erreicht, wo ist die Stadt denn sonst noch an Land gegangen?

Baranowski: Im Bereich Stadterneuerung. Der Umbau des Heinrich-König-Platzes zählt dazu, die Aufstellung für das Waldquartier in Buer, auch dass jetzt die Machbarkeitsstudie für die Zeche Westerholt erstellt wird und das Bundesumweltministerium für das Projekt Energielabor Ruhr vier Millionen Euro bewilligt hat.

Wo liegen denn die Gelsenkirchener Schwerpunkte in diesem Bereich für das Jahr 2015?

Baranowski: Die gerade von mir genannten Projekte führen wir weiter. Dazu kommt der Umbau der Ebertstraße vom Hans-Sachs-Haus in Richtung Musiktheater. Die Aufstellung der Bochumer Straße und möglichst mit Antragsstellung, die Wiedernutzung der Heilig Kreuz Kirche und die Stadterneuerung in Rotthausen. Außerdem sind zwei Millionen Euro in den Haushalt 2015 eingestellt, um die Straßensanierung in einem ersten Schritt anzugehen. Auch das ist ein sehr wichtiges Vorhaben, das wir angehen und weiterentwickeln müssen.

Die Lösung könnte Umbau 21 heißen

Wäre die Wirtschaftsförderung für das nördliche Ruhrgebiet nicht eine wichtige, zentrale Aufgabe für den Regionalverband Ruhr?

Baranowski: Nein, das wäre zu schwierig. Denn wir sind hier in völlig unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs.

Wie meinen Sie das?

Baranowski: Nehmen Sie die Hellweg-Zone mit Städten wie Duisburg, Mülheim an der Ruhr, Essen, Bochum und Dortmund. Dort könnte man die Entwicklung im Bereich Strukturwandel mit dem Begriff 3.0 kennzeichnen.

Und bei uns?

Baranowski: In Marl und in Bottrop schließen erst noch die letzten Zechen. In Marl dieses Jahr, in Bottrop 2018. Wir haben auch noch stark mit der bereits erwähnten Energiewende und ihren Folgen zu tun. Wir befinden uns hier vergleichsweise im Strukturwandel 1.0.

Wie kann man das verändern?

Baranowski: Das ist ein Thema für die neue Gesellschaft Umbau 21, die wir gegründet haben, um genau diese regionale Förderung mit Mitteln der Europäischen Union voranzutreiben.

Wie weit sind die beteiligten Städte und der Kreis Recklinghausen hier?

Baranowski: Wir suchen gerade einen Geschäftsführer. Wir hatten vor Weihnachten Vorstellungsgespräche mit möglichen Kandidaten. Jetzt wird bald eine Entscheidung fallen, dann geht es weiter mit der Aufstellung der Gesellschaft.

Das Amtsgericht Buer wird abgerissen

Viele Menschen in Gelsenkirchen beschäftigen die drohenden Leerstände großer Gebäude durch den Bau des Finanzzentrums in Buer und des Justizzentrums in Ückendorf. Wie sehen die Überlegungen der Stadtverwaltung hier aus?

Baranowski: Wir führen regelmäßige Gespräche mit dem Land, das Eigentümer der Immobilien ist. Konkret mit dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes, dem BLB.

Können Sie das konkreter fassen?

Baranowski: Das Amtsgericht Buer ist nicht zu halten. Es soll abgerissen und die Fläche neu bebaut werden. Auf das Finanzamt Buer haben wir selbst ein Auge. Dort könnten wir derzeit noch dezentral untergebrachte Dienststellen zusammenfassen.

Und der Stadtsüden?

Baranowski: Die Evangelischen Kliniken haben Interesse am Amtsgericht geäußert. An der Stelle müssen wir aber die Sotha, die Sozialtherapeutische Anstalt beachten, die ja 2017 nach Bochum wechseln wird. Da müssen wir abwarten, welche Pläne zu realisieren sind. Für das Finanzamt Süd wird eine Investorenlösung gesucht.

Was bedeutet?

Baranowski: Dort ist angedacht, nach einem Umbau Wohnungen unterzubringen. Wie beim alten Knappschaftskrankenhaus in Ückendorf.

Und das Arbeitsgericht? Da ist zu hören, dass der Bereich Presse und PR der Westfälischen Hochschule sich dort ansiedeln möchte.

Baranowski: Ja, davon hörte ich auch. Dazu kann ich aber nichts sagen. Das ist eine Entscheidung, die die Hochschule treffen muss. Das muss Präsident Prof. Dr. Kriegesmann bewerten.

Wie finden Sie die Idee denn grundsätzlich?
Baranowski:
Ich finde, sie hat ihren Charme.