Gelsenkirchen. An die Deportation und Ermordung deutscher Juden und einer elfköpfigen Sinti-Familie erinnern die neuen Stolpersteine in Gelsenkirchen. Insgesamt sind es jetzt über 100.
„Ich stehe hier am heutigen Tage mit sehr gemischten Gefühlen“, sagt Chava Moskowitz, das Gesicht unter der Kapuze des Regenmantels geschützt. Neben der Bushaltestelle „Musiktheater im Revier“ kniet Künstler Gunter Demnig bei stürmischem Regenwetter auf dem Gehweg am Rand der Florastraße, verlegt drei Stolpersteine.
Um ihn herum eine kleine Menschentraube. Stolperstein-Initiator Andreas Jordan und einige Mitstreiter stehen dort, Mitglieder der jüdischen Gemeinde und neben Chava Moskowitz auch ihre Schwester Zeldie Yurman (Jerusalem), Tziril Weinberger (New York), Nichte Leah Gertzulin (Mexico) und Cousine Susan Sanders (New York). Die Familie ist nach Gelsenkirchen gekommen, um „an die Leben meiner Mutter Chana Gertzulin, geb. Ramer, und ihrer Eltern Yaakov Ber und Leiba Ramer zu erinnern.“
Familie Jakob Rama
Jakob Ramer, Jahrgang 1903, wurde am 20. März 1940 von den Nazis verhaftet und nach Sachsenhausen deportiert, wo er zwei Jahre später starb. Seine gleichaltrige Ehefrau Lisa, geb. Fahn, sollte am 27. Januar 1942 nach Riga deportiert werden.
Sie ist im Dezember 1941 geflohen. Seit dieser Zeit gab es von ihr kein Lebenszeichen mehr. Die 1932 geborenen Tochter Hanna (Chana) Ramer wurde durch einen Kindertransport nach England gerettet. „1945, im Alter von 13 Jahren, verließ meine Mutter Chana England, um mit Verwandten in Kalifornien zu leben“, sagt Chava Moskowitz. Neun Kinder zog die Mutter groß. Tochter Chava erinnert: „Sie vermittelte uns die Wichtigkeit, die Verbindung zur Familie zu halten.“ Hanna starb 67-jährig mit ihrem Sohn Yaakov Ber (42) am 15. Mai 2000 bei einem Autounfall
Familie Moses Zwecher
Kaufmann Moses Zwecher und seine Frau Taube aus Galizien hatten einen Sohn, den am 28. Januar 1907 in Essen geborenen Joseph Leo Zwecher. Die Zwechers betrieben in Buer ein Möbelgeschäft. Mit der fortschreitenden Ausplünderung der Juden wurde 1936 das alteingesessene Möbelgeschäft der Familie Zwecher an der Urbanusstraße in „arisiert“. Neue Eigentümerin wurde die Familie Kazmierzak, die das Möbelgeschäft an gleicher Stelle unter ihrem Namen fortführte.
1938 flohen die Zwechers nach Holland. In Amsterdam, wurden sie aber von der NS-Mordmaschinerie eingeholt. Der Leidensweg von Moses und Taube führte nach Theresienstadt und am 16. Mai 1944 weiter nach Auschwitz. Dort werden Moses und Taube Zwecher am 7. Juli 1944 ermordet. Joseph Leo und seine Frau Hendrika wurden am 20. Januar 1944 nach Theresienstadt verschleppt, vier Monate später nach Auschwitz deportiert. Joseph Leo Zwecher wurde im Nebenlager Blechhammer im August 1944 ermordet, seine Frau 1945 aus dem KZ Kratzau befreit.
Lilly und Alice Stein
Die Familie Stein lebte an der Hochstraße 8, die nach der kommunalen Neuordnung der 1920er Jahre in Buerer Straße umbenannt wurde. Am 9. November 1932 starb Philipp Stein. Mit der Machtübergabe an die Nazis waren auch seine Witwe Lilly und ihre Kinder dem zunehmenden Verfolgungsdruck der NS-Behörden ausgesetzt.
Lilly Stein, gebürtige Salomon, und ihre Tochter 1903 geborene Alice Brunetta flüchteten 1938 wie viele andere jüdische Familien nach Holland. Die Hoffnung, hier zu überleben, währte nicht lang. Mutter und Tochter wurden von den Nazis zunächst ins Internierungslager Westerbork gebracht und von hier aus ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Am 17. September 1943 wurden Lilliy und Alice hier ermordet.
Familie Karl und Anna Böhmer
Elf Stolpersteine liegen nun auch an der Bergmannstraße 34. Hier lebte eine deutsche Sintifamilie Böhmer. Musiker Karl Böhmer war mit Anna Marx aus Rossov verheiratet. Das Paar lebte ab 1930 an der Bergmannstraße 34. Anna Böhmer brachte neun Kinder zur Welt. Niemand aus der Familie hat das mörderische Nazi-Regime überlebt.
Vater Karl wurde 1941 im Internierungslager Niedernhagen ermordet. Seine Familie starb 1943 im KZ Auschwitz-Birkenau, der jüngste Sohn Werner gerade mal ein Jahr alt. Rosa, 1933 geboren, wurde aufgrund eines Erlasses zur Kontrolle deutscher Sinti aus der Familie geholt, kam in ein Heim, später in eine Pflegefamilie. Die Nazis holten das Mädchen 1943 aus der Schule und brachten es nach Auschwitz ...
Familie Löwenthal
Die Familie Löwenthal lebte seit etwa 1906 an der Karl-Meyer-Straße 2. Vater Emil Löwenthal betrieb dort ein kleines Kaufhaus. Er und seine Frau Flora wurden im März 1942 in Riga ermordet. Sohn Bruno flüchtete nach Frankreich, wurde entdeckt und starb 1944 in Auschwitz. Kurt überlebte. Der dritte Löwenthal-Sohn Erwin überlebte im KZ Buchenwald und wurde befreit