Gelsenkirchen. .

Seit November 2013 gibt es die Fachstelle „Weg im Blick“ für Opfer sexueller Gewalt der Caritas Gelsenkirchen. Jetzt zieht die Beratungsstelle im Caritas-Stadthaus an der Kirchstraße 51 Resümee.

Allein in diesem Jahr belief sich die Zahl der Ratsuchenden, die sich nach einem Missbrauchsfall an die Beratungsstelle gewandt haben, auf 80 Personen. „Das waren Fälle, die den Missbrauch in seiner unterschiedlichsten Ausformung zum Thema hatten“, so Mechtild Hohage, Leiterin der Fachstelle, die an die Erziehungsberatungsstelle des Caritasverbandes angedockt ist. Es geht um Kleinkinder im Kindergartenalter, junge Erwachsene, Mütter, die einen Missbrauch am eigenen Kind vermuten.

In der Fachwelt ist sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen kein neues Thema. Aber auch in der Öffentlichkeit hat ein Umdenken stattgefunden. Seit zwei, drei Jahren werde das Thema „nicht mehr tabuisiert, sondern ist mehr in den Köpfen drin“, so die Erfahrung der Therapeutin. „Es wird genauer hingeschaut.“ Hohage widerspricht der Schlussfolgerung, dass mehr Anzeigen auch mehr Missbrauchsfälle bedeuteten. Dennoch schätzt sie, dass „die Dunkelziffer 15 Mal höher ist“. Manchmal kommen Mütter in die Beratung, die selbst als Kind oder Jugendliche sexuelle Gewalt erlebt haben. „Dann kommt die eigene Geschichte auf den Tisch.“ 65 Prozent der Opfer seien weiblich, 35 Prozent männlich, so Hohages interne Statistik.

Überwiegend Unterschicht-Publikum

Opfer, das städtische Jugendamt, Erzieher/Innen und Lehrer/Innen wenden sich an „Weg im Blick“. Hohages Büro im Stadthaus ist gemütlich eingerichtet, hell, bunt, mit Kinderbüchern und Tierhandpuppen. „Mein therapeutisches Handwerkszeug“ nennt sie die Handpuppen. „Für Kinder ist es einfacher, durch ein Tier zu sprechen.“

Findet sexuelle Gewalt in allen gesellschaftlichen Schichten statt, so ist Gelsenkirchen nicht repräsentativ. „In der Fachstelle arbeiten wir zu 95 Prozent mit Unterschicht-Publikum.“ Dass Kinder in Familien nicht nur Geborgenheit erfahren, sondern auch alle Formen von sexueller Gewalt erleben können – das sind Erfahrungen, die Mechtild Hohage in ihrer 38-jährigen Therapeuten-Tätigkeit immer wieder macht. Hohage: „90 bis 95 Prozent der Täter kommen aus dem Nahfeld des Kindes. Es ist nicht der fremde Mann, der mit der Schokolade lockt.“ Gerade hat die Therapeutin Großeltern beraten, die ihr vom regelmäßigen Missbrauch der Enkelkinder durch die eigenen Eltern berichtet haben, nun Rat und Hilfe suchen.

"Kinder müssen lernen, nein zu sagen“

Für Mechtild Hohage ist „die beste Prävention die Erziehungseinstellung der Eltern. Kinder müssen lernen nein zu sagen“. Die Therapeutin kann weder die Inobhutnahme eines Kinder aussprechen, noch einen Antrag auf Inobhutnahme stellen. „Das aller-, allerhöchste Gut in meiner Arbeit ist das Wohl und die Sicherheit des Kindes“, betont die Therapeutin. Anzeige bei der Polizei erstattet sie nur im Einverständnis mit dem Opfer bzw. Angehörigen. „Das Wohl des Kindes wird nicht von der Polizei geregelt wird. In der Polizeiarbeit geht es um die Bestrafung des Täters.“ Handelt es sich um einen Missbrauch in der Familie, kann sie das Jugendamt einschalten.

„60 bis 70 Fälle von sexueller Gewalt werden in Gelsenkirchen jährlich zur Anzeige gebracht“, so Hohage. Die Polizei bestätigt die Zahl so nicht, da die Kriminalstatistik „mehr differenziere“, so Polizeisprecher Guido Hesse. 2013 wurden 27 Fälle von sexueller Nötigung angezeigt.