Gelsenkirchen-Resse. .
Seit einem schweren Infarkt vor 13 Jahren liegt Georg Hollmann im Wachkoma. Ursula Zitzer behandelt ihn im Seniorenzentrum St. Hewig Resse mit Klangtherapie - und schafft es, ihm Reaktionen zu entlocken. Wie ein Lächeln.
Die Aktienkurse, die er als Banker regelmäßig studiert hat - sie sagen ihm nichts mehr. Die Sonne am Himmel? Georg Hollmann spürt vielleicht ihre Wärme im Gesicht, sie sehen und davon erzählen kann er nicht. Aber das Lächeln, hat er nicht verlernt im Wachkoma.
Das stellt zumindest Ursula Zitzer jeden Dienstag im Seniorenzentrum St. Hedwig Resse fest. Denn wenn die Musikerin ihre Klangschalen auf Hollmanns Kopf in Schwingungen versetzt, strahlt er, so bewegungslos er auch sein mag.
„So, Georg, ich habe Dir wieder etwas mitgebracht!“ Die Augenlider des 47-Jährigen beginnen zu flattern, als Ursula Zitzer ihre messingfarbenen tibetischen Klangschalen auf seinen Füßen und Händen positioniert. Noch einige unterschiedlich große Schalen auf das Tablett seines Rollstuhls und auf seinen Kopf, dann holt die 78-Jährige mit dem Schlägel aus. Ein tiefer, Glocken ähnlicher Klang erfüllt Patientenzimmer 615.
Hollmann, den alle Mitarbeiter auf Wunsch seiner Mutter nur Georg nennen, scheint konzentriert zu lauschen, und als endlich die kleinste Schale auf seinem Kopf vibriert, bricht ein Lachen aus ihm heraus. Das ist die Reaktion, die Ursula Zitzer ihm entlocken wollte.
"Die Schwingungen der Schale bringen alle Körperflüssigkeiten in Bewegung"
„Die Schwingungen der Schale bringen alle Körperflüssigkeiten in Bewegung. Der Klang berührt in vielerlei Hinsicht. Das nehmen Wachkoma-Patienten wahr und reagieren über den Augenkontakt, die Mimik oder die Atmung“, sagt die Musik-Professorin und Konzertpianistin aus Salzkotten, die seit August 2009 in Resse jeden Dienstag vier Betroffene mit ihrer Klang-Therapie behandelt. Ihr Name interessiert dabei nur wenige. „Glockenfrau“ wird sie überall genannt.
„Ich bin erstmals bei einer Esoterikmesse auf die Klangschalen gestoßen und habe mich nach einigen Seminaren selbst weitergebildet“, erzählt die 78-Jährige, die über eine Selbsthilfe-Organisation von Wachkoma-Patienten und deren Angehörigen Kontakt suchte zu der Einrichtung in Resse.
Hollmanns Mutter Dorothea (77) hat sie seitdem überzeugt. „Georgs Hände lösen sich etwas und krampfen nicht mehr so. Die Musik ist schließlich das einzige, was ihm an Lebensqualität geblieben ist. Wahrscheinlich weil er selbst früher Geige gespielt hat.“
Rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen
Früher: Fast auf den Tag genau 13 Jahre ist es her, dass der Diplom-Betriebswirt nach einem schweren Infarkt mit dreimaligem Herzstillstand reanimiert werden musste. Ein halbes Jahr vorher erst hatte er, 37-jährig, geheiratet. Heute ist er rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Durch die Hirnschädigung in Folge der Unterversorgung mit Sauerstoff kann er weder sehen noch sprechen oder sich bewegen, nur das Gehör scheint noch zu funktionieren. „Ich gäbe meinen Arm, wenn ich wüsste, wie viel er wahrnimmt“, sagt die Mutter und streichelt ihm immer wieder über den Kopf, wie jeden Tag, wenn sie ihn besucht.
Dass die Töne aus den Klangschalen zu Hollmann durchdringen, ist nicht zu übersehen. Besonders die hohen Klänge sind es, die ihm ein Lächeln ins Gesicht zaubern oder ein wohliges Seufzen entlocken.
Anstrengend ist diese Therapie aber gleichwohl. Als die Musikerin nach einer halben Stunde ihre Klangschalen einpackt, wirkt der 47-Jährige müde. „Eine Patientin hat mir mal gesagt, die Schwingungen fühlen sich an wie Sekt von innen“, erzählt Ursula Zitzer. Und Sekt macht schließlich müde.