Gelsenkirchen-Ückendorf. Dirk Oehlerking betreibt in Gelsenkirchen eine Motorrad-Manufaktur an der Bochumer Straße. Sein Atelier ist Showroom und Bauplatz für Stilikonen.
Straßenflucht an der Bochumer Straße. Das Haus Nummer 160 ragt optisch heraus. Es ist frisch gestrichen und durchsaniert, steingrau und weiß setzt sich die Fassade vom Umfeld ab. Der Blick fällt durchs Schaufenster, auf leuchtende Weihnachtskugeln, gebettet in einer großen Fruchtschale. Skulpturen ruhen auf Holzsäulen, Bilder und ausladende Kunststücke lehnen an den Wänden, bauchige silberfarbene Kerzenhalter stehen auf rustikalen Holzregalen, die an uriges Handwerk erinnern.
Inhaber und Mastermind von Kingston Custom in Gelsenkirchen
Wie beiläufig auf dem Dielenboden abgestellt wirkt das Motorrad in der Ecke am Fenster. Und es ist dennoch der Hingucker und Werbeträger für all das, was hier passiert. Dirk Oehlerking, Ex-Rennfahrer, dann lange Zeit klassischer Motorradhändler und nun Inhaber und Mastermind von Kingston Custom, betreibt eine einzigartige Motorradschmiede. Unter seiner Hand werden aus Motorrädern Träume für betuchte Kundschaft und Sehleute, werden klassische Kräder zu Stilikonen.
Der 47-Jährige öffnet die Hofdurchfahrt und den Weg in eine andere Welt, die von der Bochumer Straße so weit entfernt zu sein scheint wie Kingston von Ückendorf. Oehlerking ist ein Meister der Inszenierung: Auf dem Hof steht eine offene Feuerschale, dahinter stehen die Rolltore zur Halle offen. Ein cremeweißer Porsche-Nachbau des legendären 356er-Modells fällt sofort ins Auge. Cutdowns, Low Rider und Bobber flankieren den Zweisitzer. Motorräder, die auf den Kern reduziert sind und doch alles für den großen Wow-Effekt haben. Oehlerkings Kreationen, handmade in Gelsenkirchen, exklusiv für die Welt.
Das Motorrad kriegt eine komplett andere Linie
Auf BMW-Basis mit Boxermotoren baut Oehlerking besonders gerne seine Legenden auf, aber auch Kräder asiatischer, italienischer oder englischer Provenienz haucht er ein zweites, aufregendes Leben ein. „Ich verpacke neu. Das Motorrad kriegt eine komplett andere Linie und steht am Ende völlig anders da“, sagt er. Was sie alle verbindet? Den Lenkerkopf der Kreationen ziert stets eine Zündkerze. Für den Gelsenkirchener ist sie Sinnbild für allzeit „zündende Ideen“.
Ein Zwischenspiel als Autohandel und dann langen Leerstand hatte die Hinterhof-Halle als ehemalige Schmiede hinter sich. Wie das so ist: Gerümpel und Schrott blieben. 13 Container voll Müll hat Oehlerking zunächst entsorgt und sich dann weit über ein Jahr lang an die Arbeit gemacht, Bau und Optik von Grund auf umzukrempeln. Den alten, hellblau gestrichenen Putz hat er von den Wänden geholt, in Handarbeit mit „Millionen von Hammerschlägen“. Die Garagen hat er saniert, den Innenhof gestaltet, die Rolltore mit den Glasfenstern eingebaut („am 24. Dezember. Ich wollte das dicht haben. Die waren mein Weihnachtsgeschenk“), das Vorderhaus hat er gleich mit auf Vordermann gebracht. Im Obergeschoss ist eine schmucke Gästewohnung entstanden. Im Parterre der Showroom, der gleichzeitig auch Küche, einladender Essplatz, Treffpunkt und Besprechungsraum ist.
Etwas verrückt darf es sein
Dass Oehlerking und seine Frau Christel Pafferath, die mit ihrer Firma „Stil Arbeit“ professionell Einrichtungsideen umsetzt, gerne in Holland auf Möbel-, Antiquitäten- und Raritätensuche gehen, zeigt sich hier an etlichen Exponaten im Detail und der Grundausrichtung: Gediegen, gemütlich, verspielt und etwas verrückt darf es sein. Wie die Motorräder.
Auch in seinem eigentlichen Metier ist Oehlerking in Personalunion Art-Direktor, Handwerker, Vermarkter und schließlich sogar Spediteur. „Ich liefere alle Motorräder persönlich aus. Ich will wissen, wo sie stehen.“ Sein Credo: „Kreativ wird man, wenn man es für sich baut. Und wenn ich Zeit habe, dann wird es auch gut. Man muss es leben. Sonst haut es nicht hin.“ In seiner Krad-Schmiede herrscht penible Ordnung, jeder Schraubenschlüssel liegt sortiert an seinem Platz, zwei Kräder auf Montageplattformen zeigen verschiedene Umbaustufen, hier liegt ein Motorblock, dort ein Entwurf für eine Seitenverkleidung. Von Schmier, Fett oder Ölflecken keine Spur.
Eine Galerie, ein Atelier und eine Wohlfühlzone für große Jungs
Jede Schraube, jede Speiche „geht durch meine kräftige Hand“, sagt der 47-Jährige und grinst. „Nur Lackier- und Sattlerarbeiten gebe ich außer Haus. Ich kann nur alleine arbeiten. Was ich vor Augen habe, kann ich kaum vermitteln. Das ist oft ein langer Prozess.“ So ist auch das weiße Phantom entstanden. „Sie ist mittlerweile die meistgepostete BMW aller Zeiten und wurde zigmal kopiert auf der Welt.“ Mit ihrer Schwester, dem schwarzen Phantom, ist sie auf Welttournee, wird in Museen und auf Messen gezeigt. Bilder erinnern in seiner Werkstatt an den großen (Ent)-Wurf, der ihm weltweit Renommee verschafft hat.
Ein Boxsack und ein paar hölzerne Wasserski
Werkstatt, das trifft es nur bedingt. Oehlerking hat hier auch in einem Zuge eine Galerie, ein Atelier und eine Wohlfühlzone für große Jungs geschaffen. Ein Kaminofen bullert und treibt die Eiseskälte aus der Halle. Die Rolltore sind hochgeschoben, Kerzen brennen. Auf langen Holzbänken liegen flauschige Schafsfelle, in der Ecke steht ein höchst einladendes Ledersofa im Vintage-Look, daneben ein sattroter Barwagen, der ein Vorleben als Werkzeugkasten hatte. Ein Boxsack und ein paar hölzerne Wasserski, einst Sperrmüllbeute, sind wie beifällig drapiert. Von Wand zu Wand reicht über den Werkbänken das Regal mit den Pokalen und Trophäen, die er als Sportler seit dem zwölften Lebensjahr in seiner aktiven Motorsportlaufbahn zusammengefahren hat.
„Je mehr ich mache, desto besser werde ich.“
Oehlerking hat ein Umfeld geschaffen, dass nicht nur ihm bei der Arbeit Freude machen soll. Er plant langfristig, ist überzeugt: „Je mehr ich mache, desto besser werde ich.“ Dass er in Ückendorf nach dem Umzug seines Betriebs von der nahen Parkstraße am rechten Ort ist, steht für ihn fest. „Ich glaube an diesen Stadtteil. Erst recht an die Bochumer Straße auf diesen 800 Metern. Das wird ein Hotspot. Das ist Fakt. Jeder, der hier aufschlägt, hat immer etwas Negatives gelesen oder gehört. Die Leute sind dann ganz überrascht, wenn sie das hier alles sehen.“