Erle-Middelich. Nervenkrieg beim Schützenfest in Erle-Middelich: Vogel wehrt sich über Stunden. Am Ende holt Martin Diebowski ihn mit dem 221. Schuss herunter.

Schützen müssen in diesen Tagen starke Nerven haben. Am Samstag sind es die Grünröcke aus Erle-Middelich, die sich redlich mühen, den Vogel abzuschießen. Doch auch dieses hölzerne Tier ist zäh, wehrt sich über Stunden. Fünf ernsthafte Aspiranten setzen Schuss um Schuss, bangen, während die anderen an der Reihe sind.

Ähnlich ergeht es den Zuschauern – vor allem den Partnern der Schützen. Die einen träumen von der Krone, die anderen standen noch am Morgen auf mit der Überzeugung, heute stünde ihnen ein entspannter Tag bevor, wurden dann aber von der Entscheidung des Gatten überrascht, um den Sieg schießen zu wollen.

Kaiserin schwärmt von ihrer Amtszeit

Einer, der es wirklich werden will, ist Martin Diebowski. Er war schon einmal König. Nur schoss er damals nicht selbst, wurde „nur“ zum König gewählt. „Heute ist mein Bestreben, den Vogel einmal selbst zu holen. Und natürlich dann meinen Verein zu repräsentieren“, sagt der Schütze, der zu den jüngeren auf dem Schießplatz gehört. Käme er auf den Thron, gäbe es einmal mehr ein junges Oberhaupt in Erle.

Viele Vereinsmitglieder und auch auswärtige Zuschauer fieberten mit beim Königsschießen auf der Bezirkssportanlage Ost.
Viele Vereinsmitglieder und auch auswärtige Zuschauer fieberten mit beim Königsschießen auf der Bezirkssportanlage Ost. © FUNKE Foto Services | Foto: Heinrich Jung

Gespannt verfolgen alle das Geschehen. Auch Karola I. Tondorf, amtierende Kaiserin. Sie führte drei Jahre lang das Schützenvolk im Stadtteil an – unter besonderen Bedingungen: „Zwei Jahre habe ich das allein gemacht. Ohne Kaiser.“ Der war abkömmlich geworden. „Frauen dürfen in Erle ja schon länger am Königsschießen teilnehmen. Soweit war das normal. Aber dass ich allein weiter gemacht habe, dem wurde schon Respekt gezollt.“ So schwierig zuweilen die Zeit der Regentschaft dadurch war, so schön war sie auch. „So eine Amtszeit ist immer super. Man lernt viele neue Leute kennen, erlebt die Gemeinschaft. Das kann man gar nicht beschreiben. Das muss man erlebt haben“, wirbt sie für den Ehrenposten, den sie schon einmal inne hatte.

„Ich bin erst seit 2009 im Verein. Ein Jahr später bin ich schon Königin geworden. Ich habe also eine kleine Blitzkarriere hingelegt“, sagt die scheidende Kaiserin und lacht. Zwei Wochen hat sie noch in ihrem Ehrenamt. Auch wenn gleich der neue König ermittelt ist. Gekrönt wird der erst in zwei Wochen. Der heutige Abend gehört also ganz Karola Tondorf. „Es wird mir zu Ehren der Zapfenstreich durchgeführt. Das ist immer ein ergreifender Moment.“

Seit einigen Jahren schon feiert der Bürgerschützenverein Erle-Middelich kein Zeltfest mehr. Das Schützenfest findet an zwei Tagen statt, zwischen denen aber zwei Wochen Zeit liegen. „Das hat sich bewährt“, so Pressesprecher Harald Tondorf. So könne auch unter neuen Bedingungen die Tradition bestmöglich gewahrt bleiben.

Keine Zeit mehr zum Umziehen

Das scheint recht gut zu funktionieren. Einen Mangel an Interessenten müssen die Grünröcke hier nicht beklagen. „Es haben sich jetzt schon Mitglieder gemeldet, die beim nächsten Fest 2021 auf den Vogel schießen wollen. Die sind noch neu im Verein und trauen sich das heute noch nicht zu.“ Und auch Außenstehende nehmen Anteil. „Wir sind froh, dass so viele Besucher aus dem Stadtteil heute hier sind.“

Wobei etliche derer vor Anstrengung schon lange nicht mehr stehen können. Dicht an dicht hocken die meisten auf den Bänken, während die Aspiranten sich mühen, dem Spektakel ein Ende zu machen.„Ich glaube, so lange haben wir noch nie auf einen Vogel geschossen“, meint Peter Weinert, einer der fünf, die es ernst meinen.

Um 18.45 Uhr gibt der Vogel auf. Unter Jubel, in dem ordentlich viel Erleichterung mitschwingt, fällt er zu Boden. Martin Diebowksi hat sich seinen Traum erfüllt. Mit dem 221. Schuss. Er macht seine Gattin Silke zur Königin. Zeit für viele Glückwünsche ist aber nicht. Eilig ziehen die Schützen vom Platz und zur Aula der Gesamtschule. Dort sollen um 19 Uhr die Gastvereine begrüßt werden. Das wird ganz knapp. Und Umziehen ist auch nicht mehr drin.