Gelsenkirchen-Resse. . Eine eigene Wohnung trotz hohen Unterstützungsbedarfs? Möglich macht dies ein stadtweit einzigartiges Projekt des Wichernhauses in Resse.

Wohn-/Schlafzimmer, Küche, Bad, ein eigener Balkon – und ein Schlüssel zum Abschließen: Dass Gerd Glinka alleinverantwortlich in einer solchen Wohnung lebt, kommt für den geistig behinderten Mann einer kleinen Sensation gleich. Rund 30 Jahre war er stationär im Wichernhaus des Diakoniewerks in der Resser Mark untergebracht; nun, mit 51, hat er das Gefühl, endlich erwachsen zu werden. Möglich macht dies ein neues Angebot des Wichernhauses im Bauprojekt „Wohnen an der Pauluskirche“ der Evangelischen Christus-Kirchengemeinde Buer. Mieter mit und ohne Einschränkungen leben dort Tür an Tür.

„Das ist schon toll hier. Keiner meckert, wenn ich mal den Küchendienst vergesse, und niemand kommt einfach so ins Zimmer, weil ich die Tür ja nun abschließen kann“, plaudert Gerd munter drauflos. Stolz zeigt er auf seinen großen Schreibtisch mit Laptop, Drucker und Lampe im puristischen Design: Keine Frage, das ist sein Lieblingsplatz, seitdem er im Januar in das Appartement an der Böningstraße bezogen hat.

Klienten müssen Selbstständigkeit erst lernen

Empfängt gerne Gäste in ihrer ersten eigenen Wohnung: Manuela D’Angelo (40).
Empfängt gerne Gäste in ihrer ersten eigenen Wohnung: Manuela D’Angelo (40). © Joachim Kleine-Büning

Vermittelt hat es ihm die Wichernhaus gGmbH, die beim Bauherrn – der Christus-Kirchengemeinde – gleich fünf weitere mit Wohnberechtigungsschein für ihre Schützlinge reservierte. „Nun sind im selben Gebäude insgesamt sieben Frauen und Männer mit erhöhtem Unterstützungsbedarf untergebracht, die eine intensive Betreuung benötigen. Deshalb haben wir auch eine Wohnung als Büro angemietet, damit bei Bedarf immer ein Mitarbeiter vor Ort ist, derzeit sogar noch nachts“, umschreibt Wichernhaus-Leiter Stefan Paßfeld das stadtweit bislang einzigartige Projekt.

Wirklich nötig sei die Ruf- und Nachtbereitschaft bisher nicht gewesen, so Siegfried Schmidt, Leiter des ambulanten und intensiv betreuten Wohnens. „Für die Klienten ist es aber sehr beruhigend, einen Betreuer nebenan zu wissen. Denn diese neue Selbstständigkeit müssen sie ja erst lernen.“

Wo es mal hakt, helfen die Betreuer

Besonders der Balkon hat es Manuela D’Angelo angetan. In ihrer Freizeit sitzt sie gerne dort und sonnt sich.
Besonders der Balkon hat es Manuela D’Angelo angetan. In ihrer Freizeit sitzt sie gerne dort und sonnt sich. © Joachim Kleine-Büning

Wo es hakt, helfen die Betreuer. Die Palette der Hilfen reicht von der Unterstützung bei Einkäufen und Arztbesuchen über Finanzplanung bis hin zur Gestaltung der Freizeit. Denn Selbstständigkeit hin oder her: Gemeinsame Termine wie ein Besuch bei „Olé auf Schalke“ finden nach wie vor statt. „Wir achten sorgfältig darauf, dass die Klienten genügend soziale Kontakte haben und nicht vereinsamen“, sagt Schmidt. Daher stehen auch regelmäßig Gesprächstermine an, bei denen sie sich Ärger und Sorgen von der Seele reden können. „Wir trainieren aber auch, nicht jedem Fremden sofort großes Vertrauen zu schenken und in die Wohnung zu lassen.“

Insgesamt, findet Schmidt, seien die fünf Einzelpersonen und das Paar aus dem Wichernhaus gut aufgenommen worden von den anderen, ebenfalls neuen Mietern. „Dieses ,Wohnen an der Pauluskirche’ ist ja für alle ein Neustart“, freut er sich über gegenseitige Besuche der Nachbarn.

Ganz normal: das Problem, Geld richtig einzuteilen

Gerd Glinka lehnt sich derweil zurück in seinem Schreibtischstuhl und erzählt von seiner ersten Geburtstagsfeier in den eigenen vier Wänden – mit Kartoffelsalat und Musik. Dass letztere um 20.30 Uhr zu Unmut bei einem Nachbarn führte, soll nicht mehr vorkommen: Glinka lernt ja noch. Ebenso wie seine Nachbarin Manuela D’Angelo (40), nach 19 Jahren in einer Außenwohngruppe eigenverantwortlich einzukaufen. Dabei hat sie mit Problemen zu kämpfen wie andere auch: „Ich bemühe mich, Lebensmittel mit wenig Zucker zu kaufen – und mir das Geld richtig einzuteilen.“