Essen. . Wo sonst deutlich älteres Publikum klassischen Klängen lauscht, hat Radiosender 1Live am Freitagabend ein ungewöhnliches Experiment gewagt: In der Essener Philharmonie treten zunächst die WDR-Sinfoniker auf, ehe zwei DJs vor der edlen Kulisse des RWE-Pavillons Elektro auflegen. Ein Kontrast, der funktioniert.
Das Foyer der Essener Philharmonie mutet am Freitagabend wie die Plattform für einen Abiball an. Junge Frauen in kurzen Glitzerkleidchen und ihre ebenfalls auf Hochglanz gestriegelten männlichen Begleiter warten gespannt auf Einlass in den Konzertsaal. Wo sonst deutlich älteres Publikum klassischen Klängen lauscht, wagt Radiosender 1Live am Freitagabend ein ungewöhnliches Experiment: Klassik trifft auf Klubbing. Rund 500 Gäste sind gekommen, für viele von ihnen ist es die erste Begegnung mit klassischer Musik, heute in Form des Großmeisters Felix Mendelssohn Bartholdy. Zehn Minuten vor Konzertbeginn ertönt ein Horn, die großen Flügeltüren öffnen sich. Ein Herr der Philharmonie, der auf den oberen Rängen die Lage im Blick hat, schaut etwas skeptisch drein. Vielleicht fürchtet er Kaugummis unter den Sitzen oder unpassende Zwischenrufe. Völlig unbegründet, wie sich wenig später herausstellen soll.
Das WDR-Sinfonieorchester betritt die Bühne, im Schlepptau die beiden 1Live-DJs Tom Breu und Christian Vorbau. „Ich habe in der Grundschule lange auf der Blockflöte geübt aber Dirigent John Storgårds will mich nicht mitspielen lassen. Da lege ich später lieber für euch auf“, witzelt Tom Breu. Als der renommierte finnische Dirigent die Bühne einnimmt, wird es mucksmäuschenstill. Die ersten, zarten Töne der „Schottischen“ Sinfonie erklingen.
Minutenlanger Applaus
Was dann folgt, gleicht einer 30-minütigen akustischen Achterbahnfahrt. Mit hochrotem Kopf und unter größtem Körpereinsatz treibt Storgårds seine Musiker zu Höchstleistungen an. Er dürfte nach dem letzten Akkord so verschwitzt sein wie seine Zuhörer am Ende einer durchtanzten Nacht.
Ein Großteil des Publikums sitzt regungslos in seinem Sessel und lauscht. Nur drei junge Männer geben etwa fünf Minuten vor Konzertende auf und verlassen den Saal. Bei allen anderen scheint das Experiment geglückt. Minutenlanger Applaus belohnt die Virtuosen für ihr leidenschaftliches Spiel.
„Wir wollten einfach mal etwas anderes machen. Für mich war es das erste aber bestimmt nicht das letzte klassische Konzert“, sagt Lisa, die mit ihren Freunden eigens aus dem Sauerland angereist ist. Für Leonie und Jenny aus Essen hingegen war es keine neue Erfahrung: „Wir sind häufiger hier, wenn uns ein Konzert interessiert. Als Studenten bekommen wir den Eintritt ermäßigt, das macht es natürlich leichter“, sagen die beiden jungen Frauen. Für die Essener Philharmonie ist die Veranstaltung ein Gewinn. „Wir haben uns sehr über die Kooperation gefreut und es ist schön, so viele junge Menschen hier zu sehen. Wir werden sicherlich über eine Neuauflage oder eine ähnliche Veranstaltung nachdenken“, sagt Christoph Dittmann, Sprecher der Philharmonie.
Vor der edlen Kulisse des RWE-Pavillons dreht sich inzwischen schon die Discokugel, elektronische Musik bietet einen krassen Kontrast zum eben Gehörten. Tom Breu und Christian Vorbau stehen hinter den Plattentellern. Die Musik kommt aus dem Notebook vor ihnen, weitere „Instrumente“ benötigen die beiden DJs nicht. „Wir wollen mit diesem Pilotprojekt Berührungsängste zur Hochkultur abbauen“, sagt Christian Vorbau, der selbst zum ersten Mal die Essener Philharmonie von innen gesehen hat. Lykke Li mit dem Clubhit „Follw Rivers“ wummert als nächstes aus den Boxen. Wer weiß, ob Felix Mendelssohn-Bartholdy da nicht auch einen Tanz riskiert hätte.