Essen. . Eine am Dienstag eröffnete Ausstellung in der Erlöserkirche erinnert an das Schicksal tausender Spätaussiedler. Das begehbare „Russlanddeutsche Haus“ macht die Geschichte greifbar, die auch Essen prägte. Rund 14.000 Russlanddeutsche kamen seit Beginn der Neunziger in die Stadt.

Die heimelige Atmosphäre, die die Wohnstube mit all ihren Spitzendeckchen, dem bunten Geschirr und dem handgemachten Kinderspielzeug ausstrahlt, sie passt nicht zu den traurigen Augen, die in Otto Engels Gesicht eine ganz andere Geschichte erzählen. „Ich kann mich von all dem nicht losmachen“, sagt Engel, der 1938 als Sohn deutscher Eltern in der heutigen Ukraine zur Welt kam.

Die Ausstellung „Das Russlanddeutsche Haus“, die am Dienstag unter Federführung des Forums für Russlanddeutsche Essen und der Aussiedlerberatung der Evangelischen Kirche Borbeck-Vogelheim in der Erlöserkirche eröffnete, gibt Einblicke in eine Geschichte, die auch Essen prägte. Rund 14 000 Spätaussiedler kamen seit Anfang der Neunziger hierher, einer von ihnen ist Otto Engel. Der 74-Jährige will nicht, dass in Vergessenheit gerät, was ihn bis heute verfolgt.

Exponate wecken Kindheitserinnerungen

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Schon als Kind wurde er in Russland immer mit „Fritz“ gehänselt, als Deutscher galt er als Feindbild. Dabei war es 1763 Zarin Katharina II. selbst, die viele Deutsche mit dem Ruf der Arbeit an die Wolga und ans Schwarze Meer lockte. Die angeworbenen Arbeiter lebten in Kolonien, in strohgedeckten Hütten. Viele zusammengetragene Exponate in der nachgestellten Wohnung in der Erlöserkirche erinnern Engel an seine Kindheit. Etwa die „Lapti“, dünne geflochtene Bastschuhe, mit denen er bei bis zu minus 40 Grad durch den russischen Winter stapfte. Oder einer der typisch gesteppten Mäntel, den auch er sieben Jahre lang trug.

Nachdem sein Vater 1938 erschossen wurde, führte der Weg Otto Engels aus seinem Dorf in Wol­hynien bis in ein Arbeitslager im Ural, einem Gulag. Auch daran erinnert das „Russlanddeutsche Haus“. 1957 schließlich beginnt er seine Handwerksschule und studiert danach an der Eisenbahnhochschule. „Doch auch in der Stadt haben wir uns nie einheimisch gefühlt“, sagt Engel. Sein Schlüsselerlebnis hatte er Ende der Achtziger, als er das falsche Geburtsdatum in dem ihm ausgestellten Pass ändern lassen wollte. Der Standesbeamte gab ihm damals zu verstehen, dass er noch immer Gefangener sei - und sich daran auch nie etwas ändern werde. Auch mit Blick auf die Zukunft seiner beiden Kinder wollte Otto Engel endlich zurück in die Heimat.

Er traf auf Menschen wie Robert Schwinn, der von 1990 bis 2007 in der Aussiedlerberatung der Stadt Essen arbeitete und den Neubürgern den Start erleichterte. Schwinn bereitete auch die aktuelle Ausstellung mit vor. Rund 60 Spätaussiedler, schätzt Schwinn, kommen noch immer jährlich nach Essen. Was er nicht verhinderten kann, sind Vorurteile, die auch Otto Engel begegneten. In Deutschland galt er bei vielen als Russe. Bis heute rollt Otto Engel sein „r“ in unnachahmlicher Weise. Wird er gefragt, ob er Russe sei, antwortet er mit „Nein“. Er ist nach langer Reise in seiner Heimat angekommen.