Essen. . Dass Stalinstadt heute Eisenhüttenstadt heißt, dürfte niemand beklagen, dass Karl-Marx-Stadt nach der Wende wieder zu Chemnitz wurde, ist verständlich. Würde mich stören, wenn meine Adresse den Namen eines der Totengräbers der Weimarer Republik trüge? Ganz sicher. Würde ich unbedingt eine Umbenennung verlangen? Tja, gute Frage.
Vermutlich bin ich der völlig falsche Mann für dieses Thema: Frintroper, Band-, Herbrüggen-, Alt- und Bedingrader Straße – eine solche Liste bisheriger Wohnadressen beschert einem ja eher Debatten um die Frage, ob einem irgendwie das Fernweh-Gen fehlt. Wo doch all meine Anstrengungen, in mehreren Jahrzehnten sesshaft zu werden im Fünf-Kilometer-Spaziergeh-Radius beieinander liegen – Weltläufigkeit sieht ja irgendwie anders aus. Über die von mir bevölkerten Straßennamen zu plaudern, kam jedenfalls noch nie einem in den Sinn, wozu auch: Bauernschaften, eine Altersbezeichnung und eine Straße, die so heißt, weil sie sich bandförmig an einer anderen entlangzieht. Na toll.
Würde mich stören, wenn meine Adresse den Namen eines der Totengräbers der Weimarer Republik trüge? Ganz sicher. Würde ich unbedingt eine Umbenennung verlangen? Tja, gute Frage. Wo muss die Bereitschaft zum Kompromiss enden, wo beginnt kleinkrämerische Besserwisserei? Wo ist der Protest gegen die Umbenennung nur pure Bequemlichkeit, wo der Protest dafür nur eitler Ausdruck eines aufreizend guten Gewissens in einer moralisch ausgeruhten Gesellschaft?
Neuer Spott gegen alte Strenge
Einerseits wird man das Gefühl nicht los, dass die aufklärerische Pose mancher Wortführer einer Umbenennung nur der eigenen politischen Profilierung dient, andererseits bringt einen die tumbe Retourkutsche auf die Palme, als Anwohner politisch nur zu dem zu stehen, was einem keine Behördengänge beschert.
Und immer ist es eine Frage der persönlichen Schmerzgrenze: Dass Stalinstadt heute Eisenhüttenstadt heißt, dürfte niemand beklagen, dass Karl-Marx-Stadt nach der Wende wieder zu Chemnitz wurde, ist verständlich, aber schon deshalb nicht zwangsläufig, weil tausende Ost-Berliner noch an einer ziemlich langen Karl-Marx-Allee wohnen. Und wer einst seine Verwandten drüben nicht besuchen konnte, wird anders darüber denken, als die Chemnitzer Rockband Kraftklub, die es mit der Devise „Ich komm aus Karl-Marx-Stadt“ in die Hitlisten schaffte. Neuer Spott gegen die alte Strenge: Dient das als Lösung?
Quasi-Pleite-Nachbarstadt
Gefragt ist jedenfalls die Fähigkeit zu einer Debatte, die man sich in Rüttenscheid offenbar nicht zutraute: Während die Grünen etwa für die Umbenennung der Bamlerstraße in Berthold-Beitz-Boulevard eine Anwohnerumfrage forderten, stielten sie die Wende auf der Von-Einem- und Von-Seeckt-Straße lieber stiekum ein. So nährt man natürlich den Verdacht, es ginge am Ende doch nur darum, sein politisches Süppchen zu kochen.
Wir brauchen einen neuen Namenskonsens, ganz sicher. So manche lokale Größe, die es heute aufs Schild schafft, nervt morgen nur durch komplizierte Schreibweise. Und alles Gedenken verschwindet hinter dem kleingeistigem Triumph, sich durchgesetzt zu haben. Meine aktuelle Adresse führt übrigens eine Quasi-Pleite-Nachbarstadt im Namen. Bedenklich.