Essen-Bergerhausen. Die katholische Pax-Christi-Kirche in Essen-Bergerhausen ist Gotteshaus und gleichzeitig Gedenkstätte für die Opfer von Gewalt.

Sie ist sicherlich ein deutschlandweit einzigartiger Ort: Die katholische Pax-Christi- Kirche in Rellinghausen ist nicht nur ein Gotteshaus, sondern gleichzeitig eine Gedenkstätte für die Opfer von Gewalt. Jetzt wird die zwischen 1950 und 1958 grundrissgleich erbaute Doppelkirche in die Denkmalliste der Stadt Essen aufgenommen.

Von außen eher nüchtern und unaufgeregt – so stellt sich die Kirche an der Grenze Bergerhausen-Steele auf den ersten Blick dar. Ein verklinkerter Hallenbau ohne Kirchturm, mit geometrisch angeordneten Fenstern – weniger wohlwollende Stimmen haben sie auch schon mal als Scheune, Kasten oder Fabrik bezeichnet.

In den Altar in der Unterkirche sind Erde aus Dachau und Stacheldraht aus dem Warschauer Ghetto eingelassen.
In den Altar in der Unterkirche sind Erde aus Dachau und Stacheldraht aus dem Warschauer Ghetto eingelassen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Doch vom äußeren Schein sollte man sich nicht beeinflussen lassen. Kaum betritt man die Kirche, bleibt das Alltägliche, Banale draußen und man wird von der besonderen Atmosphäre gefangen genommen.

Unverputzte Ziegel und leuchtende Fenster

Das liegt an den schlichten und schönen Materialien wie den unverputzten rote Ziegeln an den Wänden, den leuchtenden Fenstern, den Holzdecken und steinernen Altären, die Ober- wie Unterkirche eine Wärme geben, die man sonst in Kirchen eher selten findet. „Das ist für mich ein fast mystischer Ort“, sagt Heinrich Henkst, der als Pastor im besonderen Dienst in der Pax-Christi-Kirche regelmäßig die Messe liest.

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Diese Mystik hat viel mit dem ersten Pastor in Pax-Christi zu tun: Karl-Johannes Heyer, seit 1949 in der Gemeinde tätig, hat dieses Gotteshaus geprägt und bis ins kleinste Detail ausgestattet. „Er war nicht nur Theologe, sondern auch promovierter Kunsthistoriker und Literat“, weiß Peter Wallmann. Der Bergerhauser ist Gemeindemitglied und ein ausgewiesener Experte, der schon mehrere Schriften über die Kirche verfasst hat. Auch wenn der 72-Jährige hier jeden Stein, jedes Kunstwerk kennt – seine Begeisterung für diesen ungewöhnlichen Sakralbau ist ungebrochen.

Verdun und Rechnitz, Hiroshima und Nagasaki, Vietnam und Kambodscha

1800 Namenssteine von Gewaltopfern sind in den Boden der Unterkirche eingelassen, darunter noch besondere Daten und Ortsnamen, die für Krieg und Tod stehen.
1800 Namenssteine von Gewaltopfern sind in den Boden der Unterkirche eingelassen, darunter noch besondere Daten und Ortsnamen, die für Krieg und Tod stehen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Das Ungewöhnliche zeigt sich schon in der Unterkirche, die Pfarrer Heyer den Gewaltopfern dieser Welt gewidmet hat. Rund 1800 Namensteine sind in den Boden eingelassen, dazu noch besondere Daten und Ortsnamen, die für Krieg und Tod stehen: Hiroshima und Nagasaki, Vietnam und Kambodscha, 17. Juni 1953, Rechnitz und Verdun, Ghandi, Georg Elser und die Opfer des German Wings Absturz 2015 sind nur einige Beispiele.

„Wir gedenken hier ganz unvoreingenommen aller Menschen ohne Abgrenzung nach Rasse, Religion oder Nation, die durch Gewalt ums Leben gekommen sind. Hier wird Gewalt an sich notiert“, erklärt Wallmann. Alle vier Jahre kommen neue Namen dazu, die stellvertretend für alle Gewaltopfer ausgewählt werden. „Zu allen Namen, Daten und Orten gibt es Unterlagen, die wir aufbewahren“, so Wallmann. Jeden Totensonntag werden in einer Gedenkmesse ein Teil der Namen vorgelesen.

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Der rechteckige Altar in der Oberkirche wird von zwölf Engeln getragen

Aber nicht nur die Namenssteine sollen erinnern: In der großen Menora vor dem Taufstein befindet sich Erde aus Auschwitz, im Altar Erde aus Dachau und ein Stück Stacheldraht aus dem Warschauer Ghetto, in der Wand ein Stein aus dem Ghetto – „all’ das hat Pfarrer Heyer besorgt“, so Wallmann. Der 1995 verstorbene Geistliche hatte einen besonderen Bezug zum Holocaust: sein Vater war jüdischen Glaubens. Und so wundert es nicht, dass sich auch auf dem Altar ein siebenarmiger Leuchter findet, aber auch zwei Ikonen, ein russisch-orthodoxes Kreuz und eine buddhistische Inschrift. „Diese Kirche ist voller Symbolik“, sagt Pfarrer Heinrich Henkst.

Angelehnt an die einfache Struktur der frühchristlichen Basiliken ist die Oberkirche ein Ort, der Frieden und Harmonie ausstrahlt. Die Ziegelsteine an den Wänden symbolisieren die lebendigen Steine, aus denen die Kirche gebaut ist.
Angelehnt an die einfache Struktur der frühchristlichen Basiliken ist die Oberkirche ein Ort, der Frieden und Harmonie ausstrahlt. Die Ziegelsteine an den Wänden symbolisieren die lebendigen Steine, aus denen die Kirche gebaut ist. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Die Symbolik setzt sich in der Oberkirche fort: Auch hier stehen die unverputzten Ziegel für die lebendigen Steine, aus denen die Kirche gebaut ist, erinnert der rechteckige Altar, der von zwölf Engeln getragen wird an Jerusalem. Obwohl die Grundflächen beider Sakralräume identisch sind, wirkt die Oberkirche durch die hohe Holzdecke größer und weiter. Aus den hoch angebrachten bunten Kirchenfenstern fällt nur spärlich Licht ins Innere.

70 Gläubige kommen regelmäßig zu den Messen am Sonntag

Angelehnt an die einfache Struktur der frühchristlichen Basiliken ist die Oberkirche ein Ort, der Frieden und Harmonie ausstrahlt. So empfinden es die rund 70 Gläubigen, die jeden Sonntag hier das Wort Gottes hören und spüren. Während in anderen Kirchengemeinden die Besucherzahl sinkt, zeigen die Bergerhauser konstant Präsenz. Und geben so auch zum Ausdruck, wie wichtig ihnen ihre außergewöhnliche Kirche ist.