Essen. Im Lichte des Treffens von Potsdam suchen Stadt und Messe Essen einen Kündigungsgrund, um den Parteitag in der Grugahalle noch zu verhindern.

Nicht achselzuckend hinnehmen, sondern eine Hintertür zum Ausstieg suchen: So lautet offenbar die Devise von Stadt und Messe Essen mit Blick auf den geplanten Bundesparteitag der „Alternative für Deutschland“ (AfD) in der Essener Grugahalle. Denn anders als zunächst signalisiert, gibt es bereits einen rechtsgültigen Vertrag mit der mehr denn je umstrittenen Partei. Fraglich sei nur noch die exakte Terminierung, blockiert ist zunächst das letzte Juni-Wochenende, vom 28. bis zum 30. Juni 2024.

Die Anfrage datiert bereits aus dem Jahr 2023 und hatte zwar eine kontroverse Debatte im Messe-Aufsichtsrat ausgelöst. Am Ende aber sah man sich dort mehr oder weniger in einer sogenannten „Kontrahierungspflicht“, also der Verpflichtung, die Grugahalle als Tagungsort freizugeben, weil auch andere Parteien wie etwa CDU und SPD hier bei vergleichbaren Veranstaltungen in den vergangenen Jahren zu Gast waren.

Am Freitag will der Messe-Aufsichtsrat diskutieren, wie er aus dem Vertrag wieder herauskommt

Allerdings gibt es dem Vernehmen nach einen Vertrags-Passus, der sinngemäß eine Kündigungs-Möglichkeit vorsieht, wenn die Gefahr besteht, dass die öffentliche Sicherheit nachhaltig Schaden nehmen könnte. Einen solchen Rückzug und die „rechtlichen und operativen Rahmenbedingungen“ des Vertrags, so bestätigte am Montag die Messe Essen, will deren Aufsichtsrat unter dem Vorsitz von Oberbürgermeister Thomas Kufen am kommenden Freitag (26. Januar) in einer Sondersitzung diskutieren. „Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um die Partei ist die Durchführung des Parteitags für mich nicht denkbar“, legt sich Kufen im Netzwerk Facebook fest.

AfD-Bundesparteitag 2024 soll in Essen stattfinden – unsere Berichterstattung:

Juristen schwant, dass ein solcher Ausstieg vom Verwaltungsgericht prompt wieder einkassiert würde. Denn auch bei anderen Gelegenheiten wurde das Recht der Parteien, sich in öffentlichen Einrichtungen einzumieten, solange sie nicht verboten sind, hoch angesiedelt. Verwiesen wird dabei stets auf den Gleichbehandlungsanspruch aus Artikel 3 des Grundgesetzes sowie das Verbot willkürlicher Entscheidungen: So verfügte das Verwaltungsgericht in Köln 2018, dass die AfD-Landtagsfraktion die Stadthalle in Troisdorf nutzen durfte (Aktenzeichen 15 B 875/18), und das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster wies die Stadt Siegen im Mai 2021 an, der AfD die Siegerlandhalle für ihre Kandidaten-Kür zur Bundestagswahl zur Verfügung zu stellen (Aktenzeichen 15 B 605/21).

Schon einmal war die Essener Grugahalle Schauplatz für einen Bundesparteitag: Im Juli 2015 putschte Frauke Petry sich an die Parteispitze – Mitgründer Bernd Lucke hatte das Nachsehen.
Schon einmal war die Essener Grugahalle Schauplatz für einen Bundesparteitag: Im Juli 2015 putschte Frauke Petry sich an die Parteispitze – Mitgründer Bernd Lucke hatte das Nachsehen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Eine nachträgliche Kündigung: Nur der Versuch, den Schwarzen Peter in Richtung der Justiz zu schieben?

Entscheidungen zu Parteitagen der AfD in nordrhein-westfälischen Hallen hat das für Essen zuständige OVG Münster nach den Worten von Gudrun Dahme, Vorsitzende Richterin und Pressesprecherin dort, zwar bisher nicht getroffen – abgesehen von einer Entscheidung, bei der es 2020 nur um Corona-Schutzmaßnahmen ging. Allerdings bestätigten die Münsteraner Oberverwaltungsrichter eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, nach der auch der rechtsgerichteten Bürgerbewegung „Pro NRW“ im Gelsenkirchener Kultur- und Bürgerzentrum Schloss Horst Räumlichkeiten nicht versagt werden durften (Aktenzeichen 15 L 533/09).

Es sei dies „nur ein Versuch, den Schwarzen Peter in Richtung der Justiz zu schieben“, raunen die Rechts-Experten. Gleichwohl steht – zumal nach der Anti-AfD-Demonstration der vergangenen Woche – auch die Erwartungshaltung im Raum, das Feld nicht „kampflos“ der AfD zu räumen. Diese ist durch die Teilnahme zweier höherrangiger Mitglieder an einem Geheimtreffen in Potsdam mehr denn je in Verruf geraten. Bei dem Treffen im November vergangenen Jahres waren Pläne für eine massenhafte Abschiebung von Migranten in andere Länder erörtert worden.

Die Sicherheits-Bedenken sind enorm: „Was, wenn die gesamte deutsche Antifa nach Essen kommt?“

Fest steht, dass die Sicherheitsbehörden alarmiert sind, da mit massiven Protesten zu rechnen ist. Die Polizei etwa ist durch die Fußball-Europameisterschaft arg eingespannt, bei der am letzten Juni-Wochenende mehrere Spiele des Achtelfinales ausgetragen werden. Aber auch die Stadt zeigt sich elektrisiert: „Was ist, wenn nicht nur die AfD mit rund 600 Delegierten und zehntausende Gegendemonstranten nach Essen kommen, sondern auch die gesamte deutsche Antifa?“ So bringt es ein namhafter Beobachter auf den Punkt: „Das wäre ein unkalkulierbares Risiko.“

Oberbürgermeister Thomas Kufen hatte bereits am Sonntag betont, die AfD sei in Essen „nicht willkommen“. Dass der Verweis auf mögliche Randale vor dem Verwaltungsgericht Bestand hat, ist allerdings fraglich. Es sei, so heißt es in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, schließlich „Aufgabe der (Polizei- und Ordnungs-)Behörden, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren und eingetretene Störungen zu beseitigen“.

„Risiken müssen als Begleiterscheinung der politischen Auseinandersetzung in Kauf genommen werden“

Die mit einer Veranstaltung verbundenen Risiken lägen „im Bereich dessen, was in einer auf Demokratie und Meinungsfreiheit beruhenden Rechtsordnung als Begleiterscheinung öffentlicher politischer Auseinandersetzungen prinzipiell in Kauf genommen werden muss“, heißt es in einem Urteil des VG Köln. Für Veranstaltungen einer Partei gelte dies, solange diese nicht vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist. „Etwas anderes würde nur dann Platz greifen, wenn Tatsachen vorlägen, die die Befürchtung rechtfertigten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit polizeilichen Mitteln nicht aufrechterhalten werden könnte, also im Fall eines so genannten polizeilichen Notstands.“

Davon aber mag in Essen niemand reden.

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