Essen. . Zum Auftakt unserer neuen Serie „60 Minuten in ...“ hat uns Jürgen Brendt seinen Stadtteil gezeigt: Heisingen. Die Heisinger sind statistisch betrachtet besonders deutsch und weiblich.
Als Jürgen Brendt 1949 eingeschult wurde, hatte Heisingen rund 6000 Einwohner, schätzt er. Jeder kannte jeden, „dann entdeckten die Menschen wie schön es hier ist“. Längst ist der Stadtteil vom Bauerndorf zum beliebten Wohnort geworden. „Ehemals hatte Heisingen 120 Zechen und 24 Höfe“, erzählt Brendt bei einem Spaziergang durch seinen Stadtteil, bei dem das erste Ziel Haus Heisingen ist: „Weil hier Heisingens Geschichte anfängt.“
Haus Heisingen, ein Sommerschloss für Raubritter und Adelige
Ein wenig abseits der Dorfmitte residierten einst Äbte in diesem Sommerschloss. Raubritter und Adelige (vom Geschlecht der Stael von Holstein) wohnten darin. Brendt erzählt auch von Zeiten als das angrenzende Staelsfeld noch Schlossstraße hieß. Heute ist das Haus in Privatbesitz und steht unter Denkmalschutz. Wenige Mieter wohnen im vorderen Teil.
Heisingen früher und heute
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Nicht weit von hier am Tannenberg zeigt der Hobby-Historiker auf das Fliegerdenkmal, das an den Absturz eines Gothabombers erinnert: Das Wehrmachtsflugzeug war im Ersten Weltkrieg auf dem Weg an die Front, als es bei Nebel in Heisingen abstürzte, erklärt er. Bis heute stellen Menschen Kerzen am Denkmal auf oder aber Jugendliche feiern zu seinen Füßen. Vier Mitglieder der Besatzung wurden damals auf dem alten Heisinger Friedhof beerdigt, hinter der Kirche St. Georg, deren Kirchturm 50 Meter hoch in den Himmel ragt. „Bis zu dem Gotteshaus erstreckte sich früher der Wald“, sagt Brendt, der Heisingen als eine Halbinsel eingerahmt vom Schellenberger Wald und dem Baldeneysee beschreibt. Dort genießen nicht nur Heisinger die Natur in den Auen oder im Vogelschutzgebiet, in dem derzeit Reiher den Nachwuchs groß ziehen und Schildkröten sich sonnen, während Angler Fisch aus dem Wasser ziehen.
Feste, Boxkämpfe und Tischtennis in der Jugendhalle Heisingen
Eine Anekdote zum beliebten Wottelfest
Seit Jahrhunderten feiern die Heisinger ihr Wottelfest – am letzten Wochenende im August. „Früher am Kirmesmontag, da ging keiner arbeiten“, sagt Jürgen Brendt. Die Heisinger Männer trugen eine Wottel (=Möhre/Wurzel) am Revers. Wie es zur Wottel kam: Dazu sei schriftlich aus dem Jahr 1929 überliefert, dass ein Bauer mit einem Möhreneintopf ungeliebte Werdener Herren, die sich stets bedienen ließen, aus dem Dorf vergraulte. Die Heisinger wollten ihre Selbstständigkeit betonen.
Facebook-Tipp: die öffentliche Facebook-Gruppe „Kaiserreich Heisingen“
Früher gab es in Heisingen Unterhaltung in der Jugendhalle: „Hier spielte sich alles ab: Feste, Gesang, Boxkämpfe“, sagt Brendt, der dort viele Jahre Tischtennis spielte. Heute nutzt die Sportgemeinschaft die Halle mit der historischen Fassade an der Bahnhofstraße, eröffnet wurde die 1915. Um 1900 entstanden auch die benachbarten Häuser. Verschwunden sind inzwischen allerdings viele alteingesessene Geschäfte, bedauert Brendt. Der auch das Kneipensterben nicht versteht. Früher gab es knapp 40 Gaststätten. Doch vor wenigen Tagen begruben Bagger eine weitere unter ihren Schaufeln: das Türmchen am Baderweg. Statt Bier und Frikadellen, sagt Brendt, wird es Eigentumswohnungen geben. Über deren oftmals gleichen kantigen Stil klagen Heisinger mitunter, während Kaufwillige zuschlagen.
Essener Stadtteilwappen und ihre Bedeutung
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Geprägt ist Heisingen zudem von vielen kleinen Zechen-Reihenhäusern, die in den 1950ern entstanden. Carl Funke indes, der im Stadtteil zwei Zechen übernahm, baute seinen Arbeitern bereits 1901 eine Siedlung (Carl-Funke-Straße). „Er holte auch den ersten Arzt nach Heisingen.“ Am Ufer des Sees steht noch einer der beiden Fördertürme: Carl Funke I., stillgelegt 1973. In dem Jahrzehnt gab auch der letzte Landwirt seinen Hof auf.
„Heisingen ist aber ein Dorf geblieben“, sagt Jürgen Brendt. Das mache den Stadtteil heute noch liebenswert: „Heisingen muss man leben.“ Sein Wunsch fürs Dorf: „Eine richtig schöne, große Sporthalle.“
Auf der zweiten Seite des Artikels finden Sie amtliche Statistik zum Stadtteil und zu den Heisingern, das Stadtteil-Wappen und einige historische Eckdaten:
Heisinger Historie und Heisingen im statistischen Stadtteil-Vergleich
Ein echter Ureinwohner
Vor 71 Jahren wurde Jürgen Brendt in Heisingen geboren: Im Haus an der Bahnhofstraße, das heute die Eisdiele beherbergt. Seine Mutter, eine gebürtige Heisingerin, sprach Heisinger Platt mit dem Sohn. Der Vater arbeitete als Bergmann auf Carl Funke. Jürgen Brendt ging im Stadtteil in den Kindergarten, zur Schule und arbeitete hier als Frisör, bevor er nach seiner Umschulung zum TÜV wechselte. Das Interesse an der Geschichte des Stadtteils weckte zunächst ein Lehrer. Richtig entflammt ist seine Leidenschaft für Heisingens Historie vor etwa 25 Jahren, als sein Bruder ihn zur Silberhochzeit um „schöne Bilder von daheim“ bat. Von ihnen hat Jürgen Brendt nun tausende, hält Vorträge vor Vereinen oder bei der Arbeiterwohlfahrt und führt als Spazierpate Senioren durch den Stadtteil (Treff: freitags, 14 Uhr, vor dem Rathaus) – alles ehrenamtlich. Geheiratet hat Jürgen Brendt eine Kettwigerin: „Aber sie wusste, dass ich hier nicht weggehe.“ Selbst im Urlaub verlässt er seine Heimat höchstens für zwei Wochen und das nur mit Laptop, um den nächsten Vortrag vorzubereiten: über Heisi...
Bereits im siebten und achten Jahrhundert besiedelte der germanische Volksstamm der Brukterer das heutige Heisingen. Der Name bezieht sich auf eine „Lichtung im Buchenwald“, dem in der Römerzeit erwähnten Heissi-Wald. Früher hieß Heisingen etwa „Heisingi“ oder „Heisengen“. Das Haus Heisingen wurde erstmals bereits 796 erwähnt.
Der Stadtteil gehörte fast 1000 Jahre zur Abtei Werden. Nach der Säkularisation 1803 wurde es Teil von Kettwig, ab 1875 gehörte es zu Rellinghausen. 1910 wurde das Alte Rathaus am Hagmanngarten gebaut, das heute den Bezirksdienst der Polizei, die Parteien, Awo, eine private Bücherei sowie die Musikschule beherbergt. 1910 fing auch Heisingens Geschichte als selbstständige Gemeinde an. Die währte bis zum 1. August 1929, als Heisingen nach Essen eingemeindet wurde.
Mit Blick auf das Rathaus hat Jürgen Brendt einen Geheimtipp: Wenn die Tür offensteht, sollten Interessierte einen Blick in den alten Ratssaal wagen: Dort hängen drei Gemälde, die der ersten beiden Bürgermeister, Emil Hagmann (1910-19) und Hugo ten Hövel (1919-29), sowie eines von Carl Funke, auch sind massive Holzmöbel wie Tische und Stühle zu sehen.
Heisingen in Zahlen und im Stadtteil-Vergleich
Fünftgrößter Stadtteil
6,8 Quadratkilometer ist Heisingen groß – exakt 680,86 Hektar. Ein Hektar entspricht einer Fläche von 100 mal 100 Metern. Heisingen ist also so groß wie 946 Fußballfelder (UEFA-Standard). Nur fünf Essener Stadtteile sind größer, der größte ist Kettwig (1535,75 Hektar).
Sehr viel Wasseroberfläche
79,42 Hektar Heisingen sind Wasserfläche. Mehr Wasseroberfläche – und Baldeneysee – hat in Essen nur Fischlaken.
Platz 16 im Bevölkerungsvergleich
Den 16. Platz belegt Heisingen mit 12.873 Einwohnern (2006: 12.776) im Bevölkerungsvergleich der Stadtteile (1. Frohnhausen: 31.744; 50. Schuir: 1499; Stand: Ende 2014).
Sehr deutsch
93,6 Prozent der Heisinger haben ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Im Stadtschnitt sind es 78,6 Prozent.
Überdurchschnittlich alt
48,98 Jahre sind die Heisinger im Schnitt alt – vier Jahre älter als der Durchschnitts-Essener (44,57). Der älteste Stadtteil ist Rellinghausen (50,36).
Sehr weiblich
53,3 Prozent beträgt der Frauenanteil in Heisingen. Weiblicher sind sechs Stadtteile. Zum Vergleich: 51,7 Prozent der Essener sind Frauen.
Viel Wohnraum
49,6 Quadratmeter Wohnfläche haben Heisinger im Schnitt zur Verfügung – nur in sechs Stadtteilen haben die Menschen mehr Wohnraum. Es gibt viel weniger Single-Haushalte (39,2 Prozent) als im Stadtschnitt (49,2). (pw)
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