Essen. Warum die Polizei Fahndungsfotos oft erst Monate nach der Tat veröffentlicht. Auf Verdacht allein darf sie Beschuldigte nicht zeigen.
Wenn Facebook-Nutzer Fahndungsaufrufe und Fahndungsfotos tausendfach im sozialen Netzwerk teilen, sind Öffentlichkeitsfahndungen der Polizei besonders erfolgreich. Immer wieder fragen Leser darum, warum Fahndungsfotos erst Wochen oder Monate nach der Tat veröffentlicht werden. Wie viel Zeit zwischen Tat und Öffentlichkeitsfahndung vergeht, hängt vom Ermittlungsverlauf und von der Dringlichkeit eines Kriminalfalls ab. Bei "kleineren Delikten" verzögert sich die "Foto-Fahndung" durch die Verfahrenswege zwischen den Strafverfolgungsbehörden und durch die Prioritätenlisten von Staatsanwaltschaften und Gerichten.
Strafprozessordnung (StPO) formuliert gesetzliche Grundlage für Öffentlichkeitsfahndung
Denn auf Verdacht allein darf die Polizei Fotos von Beschuldigten nicht veröffentlichen. Die Voraussetzungen beschreibt Paragraph 131b der Strafprozessordnung (StPO):
"(1) Die Veröffentlichung von Abbildungen eines Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, ist auch zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat, insbesondere die Feststellung der Identität eines unbekannten Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre.
(2) Die Veröffentlichung von Abbildungen eines Zeugen und Hinweise auf das der Veröffentlichung zugrunde liegende Strafverfahren sind auch zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere die Feststellung der Identität des Zeugen, auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Die Veröffentlichung muss erkennbar machen, dass die abgebildete Person nicht Beschuldigter ist."
Amtsgericht entscheidet über Öffentlichkeitsfahndung
Nach (1) müssen also nicht zwangsweise bereits alle Ermittlungsansätze gescheitert sein, bevor die Fahnder mit Fotos an die Öffentlichkeit gehen dürfen.
Damit die Persönlichkeitsrechte von Beschuldigten nicht verletzt werden, "brauchen wir immer eine richterliche Anordnung", erklärt die Essener Oberstaatsanwältin Anette Milk. Bei Gefahr im Verzug könnten die Veröffentlichung auch Staatsanwälte anordnen, das aber komme fast nie vor, da auch Richter im Notfall immer erreichbar seien, so Milk.
Wie viel Zeit zwischen Tat und Öffentlichkeitsfahndung vergeht, hängt vom Verlauf der Ermittlungen und von der Dringlichkeit ab. Bei Kapitalverbrechen und wenn eine Gefahr vom Gesuchten ausgeht, können Aufnahmen praktisch sofort veröffentlicht werden.
Erst prüft die Staatsanwaltschaft, dann entscheidet der Richter
Delikte wie Raub, Einbruch oder Diebstahl werden von den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten entsprechend nicht mit höchster Priorität bearbeitet. Das Prozedere beschreibt Annette Milk so: Die Ermittler der Polizei bringen eine Akte zur Staatsanwaltschaft, die im zweiten Schritt prüft, ob die Voraussetzung für eine Öffentlichkeitsfahndung erfüllt sind. "Wenn dies der Fall ist", so Milk, "beantragen wir die Öffentlichkeitsfahndung beim Amtsgericht."
Dann entscheiden die Richter. Danach informiert das Gericht die Staatsanwaltschaft über seine Entscheidung. Diese teilt die Staatsanwaltschaft wiederum der ermittelnden Polizeibehörde mit. Meist erfolgen diese Benachrichtigungen schriftlich. In den Fällen, in denen das Amtsgericht eine Öffentlichkeitsfahndung anordnet, berichten die Pressestellen der Polizeipräsidien dann in Wort und Bild den Medien über die Fahndung. Redaktionelle Online-Artikel und Facebook-Posts sowie Twitter-Kurznachrichten sind oft der Ausgangspunkt für eine weit reichende Verbreitung der Fahndungsaufrufe im Internet.
Bis Nutzer und Leser die Fotos der Beschuldigten sehen, können also einige Wochen, bei kleineren Delikten auch Monate vergehen: "Wenn es um Leib und Leben geht, werden die Akten auch von Hand zu Hand weitergereicht, damit es schnell geht", erklärt Milk. "Aber diesen Aufwand können wir nicht bei jedem Scheckkartenbetrüger betreiben." Dafür sei die Zahl der Fälle zu groß.