Essen. Chun Zhang will Tanz an unkonventionellen Orten zeigen. Ihre Geschichte ist aber auch ein Beispiel für die engen Grenzen der Kulturförderung.
Vor kurzem ist Chun Zhang zum ersten Mal im Hospiz Werden aufgetreten. Tanz inmitten von Todgeweihten. Bewegung in einem Lebensstadium, das vor allem Starre kennt. Für die gebürtige Chinesin ist das keine Widerspruch. Noch Tage später zehrt die 30-Jährige von dieser Energie und den Eindrücken. Es könnte der Anfang sein einer etwas anderen Arbeitsform, die Chun Zhang etablieren will. Doch der Folkwang-Absolventin und aktuellen Kurt-Jooss-Preisträgerin geht es wie vielen jungen Tänzern und Choreografen, die nach der jahrelangen Ausbildung künstlerisch kaum Fuß fassen können. Das liegt zum einen an der für die Tanz- und Folkwangstadt Essen doch vergleichsweise kleinen Szene, aber auch an Förderrichtlinien, die Essener Künstlern finanziell wie geografisch enge Grenzen setzen.
Chun Zhang hat in Shanghai und Beijing studiert, Bachelor- und Masterabschlüsse gemacht, sie hat in Hongkong gelebt und Macao gearbeitet. 2015 ist sie nach Deutschland an die Folkwang-Universität der Künste gewechselt. Ihre Choreografie für das Folkwang Tanzstudio „Being far away from“, gleichzeitig Abschluss im Masterstudiengang „Tanzkomposition / Choreographie“ an der Folkwang Universität, wurde im Juni mit dem renommierten Kurt-Jooss-Preis ausgezeichnet. Die Auszeichnung wird alle drei Jahre von der Stadt Essen und der Stiftung der Jooss-Tochter Anna Makard vergeben und erinnert an den berühmten Choreografen und Mitbegründer der Folkwangschule.
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Dass sie sich unter 80 Bewerbern aus 28 Staaten der Welt bis in die Endrunde der letzten Drei geschafft hat, zu denen übrigens auch ihr Ehemann Kai Strathmann gehörte, hat sie geehrt. „Der Preis hat mich gerettet“, sagt Chun Zhang. Und sie meint nicht nur die 10.000 Euro Preisgeld, die die Arbeit fürs erste absichern. Es geht wohl auch um das Gefühl, mit dieser Auszeichnung wirklich angekommen zu sein. In der Kunst; und in Essen. „Der Preis ist wie eine Zulassung“, lächelt Chun Zhang. Die 30-Jährige hat große Pläne. Zusammen mit ihrem Mann, dem Choreografen Kai Strathmann, ist der Entschluss gereift, eine eigene Tanzcompagnie aufzubauen: Die „Yi Bu Dance Company“. Yi Bu heißt ein Schritt auf Chinesisch. Und Schritt für Schritt soll es nun auch mit der Arbeit weitergehen. Sechs Tänzer hat sie um sich versammelt, allesamt Folkwang-Absolventen. „Schön wäre es, in Essen eine Halle zu haben, wo man forschen und arbeiten kann“, sagt Chun Zhang. Auch Workshops würde sie gerne anbieten. Doch da gibt es einen Haken.
Sie will Stücke an ungewöhnliche Orte bringen
Dank eines familiären Erbes haben die gebürtige Chinesin und ihr Mann vor kurzem eine alte Doppelhaushälfte in Velbert erwerben können, nur einen Steinwurf von der Essener Stadtgrenze entfernt. Der Ort ist perfekt, hat sogar eine kleine Probebühne, doch die Postleitzahl ist nun das große Handicap im Ringen um mögliche städtische Fördermöglichkeiten. „Im Regelfall werden Künstler gefördert, die in Essen wohnen. Bei besonderen Projekten mit großer Bedeutung für Szene und Stadt kann davon abgewichen werden“, heißt es nämlich in den Richtlinien der Stadt. Ohnehin sind die Fördertöpfe so gering, dass die im Gießkannenprinzip verteilten Mitteln kaum professionellen Strukturen ermöglichen. Darüber wurde unlängst erst in einer vom Essener Kulturbeirat organisierten Tagung der freien Szene diskutiert.
Doch was ist besonders und von großer Bedeutung? Chun Zhang setzt auf neue Strukturen, eine andere Wahrnehmung. Weniger Eigenmarketing, mehr Engagement für die Gesellschaft. Der Besuch im Hospiz war ein erster Impuls, die 30-Jährige würde auch gerne in Schulen- und Altenheime gehen. „Ich werde Stücke an unkonventionelle Orte bringen, um Menschen zu berühren“, zeigt sich die Künstlerin entschlossen. Das Maschinenhaus Essen soll zudem Start und Ziel einer künstlerischen Reise sein, die sie 2020 aber auch auf internationale Festivals bringt.
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Chun Zhang will von ihrer neuen Heimat Essen aus andere, ungewöhnliche Wege einschlagen. Denn was ihr sofort zu Kurt Jooss einfalle, das sei „Tiefe, Klarheit, Menschlichkeit und auch der Mut, etwas nicht zu machen“.