Essen-Kettwig. Kettwigs bekannteste Adresse, die Ruhrstraße, hat sich erst in den jüngsten 30 Jahren mit Hilfe vieler Privatleute zum Schmuckstück entwickelt.

Die Kettwiger Ruhrstraße gehört mit ihrem Mix aus mittelalterlichen und industriegeschichtlichen Bauten zu den wohl spannendsten der Stadt. Dabei erblühte sie recht spät zu heutiger Schönheit und die Plattitüde „Früher war alles besser“ gilt in der Ruhrstraße nicht. Im Gegenteil: „Das Fachwerk lag früher vielfach hinter grauem Putz, weil diese Fassade in den Nachkriegsjahren als altmodisch galt. Außerdem ist die Ruhrstraße erst seit 1991 eine Fußgängerzone: Früher drängelte sich der Verkehr hier dicht an dicht“, erinnert sich Günter Voss von den Kettwiger Museums- und Geschichtsfreunden, der seit den 1970er-Jahren an der Ruhrstraße lebt.

Gemeinsam mit Armin Rahmann, der als Kettwiger Nachtwächter in sämtlichen Straßen der Altstadt zu Hause ist, hat er einige Geheimnisse der historisch bedeutenden Straße gelüftet.

„Es steckt viel Herz in dieser Straße“

„So schön wie heute war die Ruhrstraße wohl noch nie“, schwärmt Günter Voss und verweist auf historische Bilder, auf denen im Hintergrund noch die Schlote der Scheidt’schen Tuchfabrik qualmen. „Es steckt viel Herz in dieser Straße“, sagt auch Armin Rahmann, der exemplarisch die umfangreiche Sanierung der so genannten Jakobusvicarie anführt. Das Haus in der Ruhrstraße 22 ist 1526 erbaut worden und damit eines der ältesten auf der rund 700 Meter langen Straße.

Ein weiteres Beispiel dieses Wandels zum Guten findet sich direkt am berühmten Tuchmacherplatz, Kettwigs Postkartenmotiv schlechthin. Das schmale Gebäudeensemble am Treppenabgang ist ebenfalls erst um die Jahrtausendwende saniert worden. Neben dem vorderen Häuschen, das heute die Musikschule von Frank Weise beherbergt, wurde 2008 ein weiterer „Schatz“ gehoben: Im auch als „Nachtwächters Grotte“ bekannten Gebäude, in dem heute ein Café untergebracht ist, wurde ein 13 Meter tiefer, mittelalterlicher Brunnen ebenso freigelegt wie ein unterirdischer Gang zur evangelischen Kirche.

Zum Vergleich: Noch in den 1990er-Jahren war dort, wo heute in mittelalterlichem Gemäuer Cappuccino serviert wird, eine schnöde Garage.

Brückenschänke und einige Geschäfte stehen leer

Brunnen kommen dabei noch in mehreren der vielfach denkmalgeschützten Gebäude vor, deren Name schon vor der Industrialisierung Programm war: So gab es früher im Bereich des Mühlengrabens einen direkten Zugang zur Ruhr: Waren und Schlachtvieh wurden direkt per Fähre angeliefert und rund um die teils von Arbeitern der Tuchfabrik bewohnten Häuser ging es lebhaft zu. Schlägt man die Brücke ins heute, ist die hektische Geschäftigkeit von einst ein Stück weit eingeschlafen.

Die legendäre Brückenschänke steht seit November 2015 leer, ein neuer Pächter ist vorerst nicht in Sicht. Gleiches gilt für einige leer stehende Ladenlokale wie die Boutique „Zeitgeist“ entlang der schmucken Straße, die zwar größtenteils saniert sind, hinter deren Schaufenstern aber gähnende Leere herrscht. Teile der Tuchfabrik wurden abgerissen und in den 1980er-Jahren durch hübsche Stadthäuser mit Blick auf die Ruhr ersetzt. Der letzte große Wandel folgte 2010 mit dem Umbau der Scheidt’schen Weberei zum so genannten Ufer-Palais: Fußballstar Manuel Neuer war damals der prominentes Käufer einer der 36 Eigentumswohnungen, hat sich von den exklusiven vier Wänden mittlerweile aber wieder getrennt.

Märchenstraße einmal im Jahr

Trotz der Erfolgsgeschichte der Ruhrstraße vermissen Rahmann und Voss ein Gebäude schmerzlich: „Das Hexenbergkino, in dem das Rheinische Landestheater gespielt hat. Sogar Willi Millowitsch ist dort aufgetreten.“ Heute findet sich dort der schmucklose Netto. Aber selbst auf der Ruhrstraße, die sich jedes Jahr im November mit vielen Motiven in eine Märchenstraße verwandelt, geht eben nicht jeder Wunsch in Erfüllung.