Bottrop. Im Bottroper Apothekerprozess um unterdosierte Krebsmedikamente führen die Verteidiger an, dass ihr Mandant psychisch beeinträchtigt sei.
Im Bottroper Apothekerprozess um unterdosierte Krebsmedikamente gehen erstmals die Verteidiger in die Offensive. Am 22. Verhandlungstag vor dem Essener Landgericht unterstellten sie der XXI. Strafkammer, Beweisnöten gegen Peter Stadtmann mit rechtlich fragwürdigen Konstruktionen begegnen zu wollen. Außerdem bezeichneten sie ihren Mandanten als psychisch derart gestört, dass ihm etwaige Fehler bei der Herstellung von Chemotherapien gar nicht bewusst gewesen seien.
Bei einem Unfall sei es zu schweren „Frontalhirnschädigung“
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Diese Einschränkung seiner Schuldfähigkeit begründet Verteidiger Peter Strüwe mit einem Unfall, den Stadtmann im Jahre 2008 erlitten habe. Es sei damals zu einer schweren „Frontalhirnschädigung“ gekommen. Seitdem leide er unter „unbewussten Fehlhandlungen“, vor allem unter Stress. Strüwe: „Diese Störung ist für ihn nicht wahrnehmbar.“ Falls tatsächlich Medikamente durch ihn unterdosiert worden seien, könne ihm auf keinen Fall vorsätzliches Verhalten unterstellt werden.
Um diese Diagnose zu untermauern, beantragte die Verteidigung die Vernehmung des Psychiaters Pedro Faustmann als Gutachter. Er hat Stadtmann schon zweimal in der Haft aufgesucht und bereits ein vorläufiges Gutachten verfasst.
Verteidiger sprechen von „offensichtlichen Beweisnöten“
Dann wäre die große „Alte Apotheke“ also jahrelang von einem psychisch beeinträchtigten Mann geleitet worden. Vielleicht auch aus diesem Grund hatte die Verteidigung diesen Antrag unter Ausschluss der Öffentlichkeit verlesen lassen wollen. Das lehnte die Kammer aber ab. Richter Johannes Hidding: „Weil es in diesem Prozess auch um die Gesundheit der Bevölkerung geht, überwiegt das öffentliche Interesse.“ Eine Entscheidung über den Antrag, Psychiater Faustmann zu laden, steht noch aus.
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Zuvor hatte die Verteidigung aus den rechtlichen Hinweisen der Kammer am 21. Verhandlungstag „Beweisnöte“ des Gerichtes herausgelesen. Hidding hatte damals gesagt, dass dem Apotheker keine konkrete Unterdosierung nachgewiesen werden könne, weil auch andere Mitarbeiter Medikamente hergestellt hätten. Es sei aber möglich, Stadtmann wegen „Organisationsverschuldens“ zu verurteilen. Verteidiger Ulf Reuker nahm das auf: „Wesentliche Behauptungen der Anklage sind nicht mehr aufrechtzuerhalten.“ Verteidiger Christian Roßmüller zog die rechtlichen Konstruktionen, die das Gericht gewählt hatte, stark in Zweifel. Er forderte eine Präzisierung der rechtlichen Hinweise.
Die Beweisaufnahme habe keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Unterdosierung der Krebsmedikamente ergeben, sagte Reuker weiter. Auch ein Verstoß gegen Hygienevorschriften sei nicht nachzuweisen. Reuker sprach von „offensichtlichen Beweisnöten“ in diesem Fall: „Es ist völlig unklar, wer was wann getan hat.“ Also Freispruch? Reuker: „Diese Beweisprobleme muss der Rechtsstaat aushalten“.