84-jähriger Essener will zum Neunzigsten promovieren
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Essen. Mit 90 Jahren will Franz-Josef Mittnacht seine Promotion erreicht haben, er studiert Geschichte, Schwerpunkt Mittelalter. Unter seinen jungen Kommilitonen fällt er auf, aber die Kameradschaft lernt er trotzdem kennen. Wie er sich fühlt, warum er diesen Weg wählte und was er noch vorhat, verrät er hier.
Franz-Josef Mittnacht studiert Geschichte. Schwerpunkt Mittelalter. An diesem sonnigen Septembermorgen trägt er Blue Jeans und über dem blauen Polo-Shirt eine helle Jacke. So ähnlich wie etliche seiner Kommilitonen auf dem Campus auch. Nur drei Dinge heben ihn kolossal von ihnen ab: der schwarze Handstock, das silberweiße Haupthaar, ja, und besonders das imponierende Alter. Unser Studiosus zählt methusalemhafte 84 Jahre und ist damit einer der ältesten Studenten der Uni Duisburg-Essen.
„Das Verhältnis zwischen Professoren und Studenten ist heute viel besser als früher, genauso wie die Kameradschaft unter den jungen Leuten“, schwärmt er. Und lobt sogleich die „wahnsinnige Vielfalt“ an Fächern und die Internationalität seiner Alma Mater.
Körperlich fit, geistig frisch
Wir haben uns im „Café Rosso“ verabredet, einem beliebten Studi-Treff nicht weit vom neuen Hörsaalzentrum am Rheinischen Platz. Über die Schulter trägt er lässig eine schwarze Tasche mit seinem Laptop drin. „Die technische Ausstattung auf dem Campus fasziniert mich, ich habe hier überall Internet.“
Apropos Multikulti. Im „Rosso“ kommt Franz-Josef Mittnacht schnell ins Gespräch mit zwei angehenden Lehrerinnen. Athena-Elena Paparidis (23) hat griechische Wurzeln und studiert Englisch, SoWi, Geschichte, während sich ihre Freundin Seydi Cicek (30), eine aramäische Türkin, auf Biotechnik und Katholische Theologie spezialisiert. Zufall oder nicht: Jolantha Chyla, die 28 Jahre alte Polin und angehende Erziehungswissenschaftlerin, schreibt gerade ihre Bachelor-Arbeit zum Thema „Lernen im Alter“.
Der einzige Arbeiterjunge am Gymnasium
Wie verblüffend einfach das selbst im hohen Alter gehen kann, macht Franz-Josef Mittnacht eindrucksvoll vor: „Ich habe sehr viel Ausdauer, das macht es.“ Als seine Frau vor sieben Jahren verstarb, verspürte er schlagartig eine Leere in seinem Leben. Eine, die er mit einer sinnvollen Beschäftigung auszufüllen suchte - und im Geschichts-Studium gefunden hat. Inzwischen lebt er in einer Rüttenscheider Seniorenresidenz. „Dort ziehe ich jeden Morgen im Pool eine halbe Stunde meine Bahnen.“ Hinzu kommen: einmal pro Woche Wandern (ein bis zwei Stunden) sowie jede Woche eine halbe Stunde Gerätesport. Mittnacht weiß um seine Rüstigkeit, die auch den Geist fit hält. „Es gibt Leute“, sagt er, „die sind 18 und denen rieselt schon der Kalk aus dem Hosenbein.“
Neues Hörsaalzentrum wird im Sommer eröffnet
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Überhaupt: Etwas aus dem Leben machen - das ist seit jeher das Credo des 1929 Geborenen. „Unter lauter Doktoren- und Fabrikantensöhnen auf dem Kasseler Wilhelms-Gymnasium war ich der einzige Arbeiterjunge.“ Geschenkt wird ihm dort nichts, aber er begreift, dass Bildung Türen weit zu öffnen vermag. Erst recht, als Hitler-Deutschland in Schutt und Asche liegt und auf den Ruinen eine neue, bessere Republik entsteht. Nach dem Abitur 1949 absolviert der Beflissene sein erstes Studium: Philosophie, Theologie, Psychologie und Pädagogik. Arbeitet zuerst in der Erwachsenenbildung und Heimerziehung, später wird er Regierungsdirektor beim Arbeitsamt.
Die quälenden Sorgen vieler Studenten („Wer bezahlt mein Studium? Wie finanziere ich meine Wohnung? Wer gibt mir einen Nebenjob?) plagen Franz-Josef Mittnacht nicht. „Meine Pension reicht, einen Nebenjob brauche ich nicht.“ Sein beeindruckendes Lernpensum reicht fast an die 40-Stunden-Woche: vier halbe Tage Vorlesungen und Seminare, zwei bis drei Tage Lesen. Damit nicht genug. Nebenbei liest unser Geschichtsstudent, selbst zweifacher Großvater, regelmäßig in Kindergärten vor. „Er ist ein Vorbild“, sagt Athena-Elena.
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