Essen. 30 Medizinstudenten spielen bei der Sommerakademie für Notfallmedizin am Uniklinikum Essen realitätsnahe Unfallszenarien durch. Höhepunkt: ein Geiseldrama. Blut fließt, es wird geschrieen und unter Hochdruck operiert. Bei der gestrigen Abschlussübung war auch das SEK dabei.


Schreiend liegt der Waldarbeiter auf dem Boden. Das Gesicht schmerzverzerrt, die Hose blutgetränkt. Die Axt steckt noch in einem Baumstamm. Fassungslos hält er seinen rechten Arm – die Hand fehlt, aus dem Stumpf spritzt Blut. Nur ein Szenario von vielen bei der fünftägigen Sommerakademie Notfallmedizin des Universitätsklinikums Essen. 30 Medizinstudenten proben dort den Ernstfall. Die Notfälle sind perfekt simuliert: authentische Umgebung, reale Geräusche, und professionell geschminkte Schauspieler als schwer verletzte Unfallopfer – sehr echte schwer verletzte Unfallopfer.

Lernen in extremen Stresssituationen

„Unsere Stundenten sind mit unterschiedlichsten Verletzungen konfrontiert. Hier können sie quasi unter realen Bedingungen lernen, wie sie in extremen Stresssituationen und teilweise unter Ressourcenmangel die Patienten bestmöglich versorgen“, erklärt Hanjo Groetschel, ärztlicher Leiter und Erfinder der Sommerakademie. Seit 2006 führt er sie mit viel Liebe zum Detail einmal im Jahr durch. „Die Studenten wissen, dass alles gespielt ist, trotzdem fühlen sie sich so in die Situationen ein, als wäre alles echt“, sagt Christine Harrell, Sprecherin der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen.

Von der ungewollten Handamputation geht es für die dreiköpfigen Ärzteteams weiter zu einer jungen Frau mit schlimmen Verbrennungen. Anschließend in die „Schwarzwaldklinik“, in der eine übereifrige Krankenschwester die Reanimation eines Patienten stört oder zu einem Motorrad-Unfallopfer mit offenem Knochenbruch.

Von Einsatz zu Einsatz hetzend, kommen die Teilnehmer der Sommerakademie kaum zur Ruhe. Insgesamt sind die fünf Seminartage von 9 bis 18 Uhr vollgestopft bis obenhin. Theorie und Praxis zu Reanimation, schwerwiegenden Herz-Kreislauferkrankungen, neurologische Notfällen und Drogenmissbrauch sowie zu akuten Traumata wechseln sich ab.

Didaktisch auf höchstem Niveau

„Das ist ein ganz großes Ding“, sagt Adrian Mörtl begeistert. „Didaktisch ist das auf ganz hohem Niveau. Wir wiederholen verschiedene Aspekte, dabei sind die Umstände aber immer komplett anders, sodass wir das Gelernte total gut verinnerlichen.“ Der 27-Jährige aus Freiburg ist einer der Gäste; der Großteil der Kursteilnehmer studiert in Essen.

Den Höhepunkt der Sommerakademie bildete gestern die große Abschlussübung: ein Training, nicht nur für die 30 angehenden Ärzte, sondern auch für rund 100 Einsatzkräfte der Feuerwehr, Polizei, der Hilfsorganisationen wie Johanniter und Deutsches Rotes Kreuz sowie des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Essener Polizei. Keiner der Beteiligten wusste im Vorfeld genaueres zum Einsatz. Nur: Sie erwartet ein sogenannter Massenanfall von Verletzten.

Geiseldrama mit Schwerverletzten

Im Klartext: Im Inneren des Lern- und Lehrzentrums hat sich ein Geiseldrama abgespielt. Schussverletzungen, Schnittwunden, offene Bauchdecke – auf die jungen Ärzte wartet das volle Programm. Erst, als das SEK das Gebäude freigibt, dürfen sie den Katastrophenort betreten. Ohrenbetäubender Alarm schallt ihnen entgegen. Verzweifelte Hilfeschreie aus den oberen Etagen. „Warum kommt denn keiner? Hier stirbt einer!“ Doch schon im Erdgeschoss liegen die ersten Schwerverletzten. Grauenhafte Szenen.

Wie ernst die Teilnehmer die Übung nehmen, wird schon am Eingang klar. Da liegen die Nerven blank, kommt es zwischen Einsatzkräften zum Streit. Adrenalin pur bei allen Beteiligten. Zum Glück: nur eine Übung.