Essen.. In einer Essener Seniorenresidenz schlief eine 82-Jährige drei Monate mit Matratze auf dem Boden, damit sie nach einem Oberschenkelhalsbruch nicht aus dem Bett klettern konnte. Die Seniorin litt darunter, weil sie nicht alleine aufstehen konnte – und sich das Personal nachts nicht kümmern konnte.
Drei Monate lang schlief eine 82-Jährige in einer Essener Senioren-Residenz auf einer Matratze auf dem Boden. „Nach einem Oberschenkelhalsbruch bestand die Gefahr, dass meine demente Mutter aus dem Bett klettern will und hinfällt“, schildert Angelika Mahler. Darum habe sie dem Matratzenlager im Gespräch mit der Pflegedienstleitung der Nova Vita Residenz auch zugestimmt. Das war Ende Mai.
„Meine Mutter litt aber darunter, auf dem Boden zu liegen; das sei furchtbar.“ Denn so konnte sie zwar nicht stürzen, aber auch nicht ohne Hilfe aufstehen. „Wenn sie nachts durchs Zimmer robbte und Angst hatte, wer half ihr denn?“ Sie habe die Pflegerinnen als sehr engagiert erlebt, betont Mahler, doch das Personal sei zu überfordert, um sich Tag und Nacht um die nun völlig hilflose Seniorin zu kümmern.
Niederflurbetten erleichtern die Situation
Dass es anders geht, erfuhr Mahler, als ihre Mutter vor zwei Wochen ins Knappschafts-Krankenhaus kam, wo auf der Geriatrie der Klinik ihre Medikamente neu eingestellt wurden. „Dort gibt es Niederflurbetten, die auch nah am Boden sind; aber daran konnte sich meine Mutter abstützen, um aufzustehen.“ Sie sei in den zwei Wochen dort aufgeblüht und nun wieder mit dem Rollator unterwegs.
Gitter und Gurte werden allmählich verbannt
Wenn alte und/oder verwirrte Menschen mit Bettgittern oder Gurten fixiert werden, bedarf das einer richterlichen Anordnung. „Beides fällt unter die unterbringungsähnlichen Maßnahmen, die das Freiheitsrecht der Betroffenen beschränken. Ein so ernster Grundrechts-Eingriff ist nur dann gerechtfertigt, wenn es kein milderes Mittel gibt, um die Patienten zu schützen“, erklärt Michael Schütz, Richter und Pressesprecher am Amtsgericht Essen.
In den vergangenen Jahren sind solche Anordnungen in ganz NRW zurückgegangen, auch weil viele Seniorenheime bei erhöhter Sturzgefahr ihrer Bewohner auf Niederflurbetten setzen. In Essen entwickelte sich die Zahl von Unterbringungen und unterbringungsähnlichen Maßnahmen (jeweils Januar bis Juli) wie folgt: 2012 lag sie bei 385, 2013 bei 317, in diesem Jahr bei 283. Der neue Ansatz der Heime dürfte den Rückgang befördert haben.
Als Mahler nun in der Nova Vita Residenz um ein Niedrigbett für die Mutter bat, hieß es, es seien nicht genügend da; man werde eins bestellen. Und tatsächlich: Als die Seniorin am Montag aus der Geriatrie kam, stand es bereit.
Matratze „eigentlich als Übergangslösung“
Warum nicht gleich so, fragt sich Mahler. Residenz-Leiterin Claudia Raab-Hegmann, sagt dazu, dass die Tochter und der Hausarzt der Matratze am 28. Mai ja zugestimmt hätten. Erst am 13. August habe Frau Mahler nach dem Niedrigbett gefragt. Auf die Frage, warum die Residenz das Niedrigbett in fast drei Monaten nie selbst ansprach, sagt die Leiterin: „Wir hätten das selbstverständlich auch so bestellt.“
Pflegedienstleiterin Annett Tyrock räumt immerhin ein, dass in ihren elf Jahren im Haus nur zweimal Bewohner auf Matratzen gebettet wurden. Im aktuellen Fall sei das „eigentlich als Übergangslösung“ gedacht gewesen. Als solche sei es zumindest besser als Gitter oder Gurte, sagt Johannes Potgrave von der Heimaufsicht: „Aber das darf keine Dauermaßnahme sein. Die Beschwerde der Tochter ist insofern berechtigt und begründet.“
Auch Eva Szurgacz vom Bethesda-Altenheim in Borbeck, wo man mit viel Erfolg Niederflurbetten einsetzt, nennt Matratzen eine akzeptable Notlösung: „Aber wenn ein Mensch allein aufstehen könnte und lediglich vom Boden nicht hochkommt, geht das gar nicht. Das schränkt ja seine Freiheit ein.“